Neulich sprach ich das Thema Urvertrauen an. Prompt kam die Antwort im Kommentar:
Was Urvertrauen? Ich muss kritisch bleiben!
Genau das ist falsch. Denn wir sind nicht kritisch, wir sind in den meisten Fällen einfach dämlich und dumm — zumindest stellen wir uns dumm an.
Stellen wir uns mal ein kleines Mädchen (gerne auch einen Jungen) vor, das abends seelenruhig im Bett liegt, gerade am Einschlafen ist. Urplötzlich raschelt es in ihrem Schrank. Das Kind schreckt auf und glaubt ab diesem Tag, dass in ihrem Schrank ein Monster lebt. Sie verliert also das (Ur-)Vertrauen. Das Resultat ist, dass es nicht mehr ins Bett möchte, Todesängste beim Einschlafen hat.
Die Lösung wäre im Prinzip denkbar einfach: Das Kind muss lernen, dass im Schrank doch kein Monster ist. Also könnte die Mama kommen, sie an die Hand nehmen, und zusammen mit dem Kind den Schrank durchsuchen. Diese Art des rationalen Denkens und Handelns wird allerdings kaum funktionieren, denn solche Emotionen sind nun mal „anders“ getriggert.
Alternativ könnten Monate und Jahre vergehen, das Kind schläft immer und immer wieder im Bett und irgendwann stellt es von ganz alleine fest, dass nie etwas passiert ist. Das Unterbewusstsein, das Gehirn, lernt langsam aber sicher wieder zu gehen, auf eigenen, noch wackeligen Beinen zu stehen.
Irgendwann denkt das Mädchen, mittlerweile erwachsen, dass ihr Verhalten damals ziemlich übertrieben war. Klar.
Genug der Philosophie und Bildergeschichten.
Das Problem an unserem Gehirn ist, dass, sobald wir das Urvertrauen oder Vertrauen in irgendwas verlieren, wir eine Büchse mit unendlichen Problemen öffnen, auch, wenn es uns statistisch (!!!) betrachtet, überhaupt nicht tangiert. Wir wissen das bloß nicht, wie das Mädchen oben im Beispiel.
Zu diesem „Problemfinde-Apparat“ in unserem Kopf gibt es Tausende Ratgeber. Einmal angefangen, kann das Gehirn überall Probleme finden, noch und nöcher. Am liebsten hat es das Gehirn, wenn unser Problemchen nicht richtig greifbar ist, dann dreht es so richtig auf. Wie beim Mädchen eben.
So, wir also verlieren das Vertrauen in Menschen, die gewisse Dinge besser können sollten, mehr Sachverstand haben sollten als wir.
Das aber öffnet Problem-Türen in unserem Kopf, die Zugang zu einem schier unendlichen Feld an unlösbaren Problemen ermöglicht. Plötzlich müssen wir Onkologen, Biologen, Toxikologen, Ernährungswissenschaftler, Präsident der USA, Verteidigungsminister, Ärzte … und so weiter werden.
Come on!
Solch ein Expertenwissen werden wir uns never ever aneignen können, wir werden niemals diese geballte Ladung Rieseninformation verinnerlichen können, um die vielen Berufe, die wirklich z. T. viel Talent und Können voraussetzen, selbst ausüben zu können.
Menschen also verlieren das Urvertrauen in die Personen, die uns das Leben eigentlich erleichtern sollten, in Menschen, die solche „Problem-Türchen“ in unserem Kopf, geschlossen halten sollen.
In dem Moment also, in dem wir das größere Vertrauen verlieren, beginnt die Phase, in der wir uns oft ziemlich dämlich verhalten. Uns fällt es natürlich nicht oft. Wir stecken ja mittendrin (gefühlt: in der Scheiße).
Das ist häufig die Phase, in der der Dunning-Kruger-Effekt zuschlägt.
Dazu müsste ich nur zwei Klicks im Internet machen. Ich könnte live studieren, wie sich manche Menschen komplett zum Affen machen, weil sie meinen sie seien über Nacht zum Biochemiker geworden. Einfachste chemische Gleichungen — komplett falsch. Aber man will ja mitreden können.
Viele Menschen sprechen heute über Wissenschaft so, als wären sie Jahrzehnte selbst Wissenschaftler gewesen. Diese große Blackbox bietet viel Platz für allerlei Spinnereien und Verschwörungstheorien, genau das, was unser Gehirn besonders liebt. Dann kann man sich wieder in Problemen wälzen und die Nacht durchschwitzen vor Angst.
Nun müsste eine Mama kommen und die Menschen an die Hand nehmen, mal zeigen, wie es ist, dort drüber in „der Wissenschaft“, „bei der Pharma“, „im Verteidigungsministerium“ … Aber wie beim Mädchen auch, das würde nicht funktionieren. Wir hätten ja nicht alles gesehen. Vielleicht gibt es im vierten Stock des Gebäudes doch diese eine besondere Cola-Abteilung, die alle Studien manipuliert.
Das Internet macht es noch viel schlimmer. Weil uns die 99 %, die unser Urvertrauen retten würden, nicht interessieren, wir aber für die 1 %, die man skeptisch beäugen könnte, immer ganz besonders viele Informationen finden. Über die Zucker-Lobby, die bösen Düngemittel, das Impfen, das wieder jemanden getötet hat. Und so weiter.
Machen wir uns nichts vor: Das ist eine NeverEnding Story.
Dieser Artikel ist eine reine Selbstreflexion, weil ich genau weiß, dass es nicht bringt. Eine Vielzahl an Menschen sind einfach verloren. In ihren eigenen Gedanken. Ich sehe das täglich bei Menschen, die vollen Ernstes seltsame Dinge auf Facebook posten. Die aber glauben würden, ich sei der Spinner. Die doch nicht.
Eine Sache weiß ich: Statistik, in „mathematischer Sprache“ denken, kann ich. Heutzutage ein wirklich riesiger Vorteil. Daraus erwächst letztlich das kritische Denken. Nicht aus meiner blühenden Fantasie.
Hier mal noch was zum Schmunzeln (sieht verdächtig aus, nicht wahr?):
8 comments On Warum uns Urvertrauen fehlt
Nun, in Bereichen, in denen man wirklich etwas gelernt haben muß, um zum Fachmann zu werden, nennt es Wissenschaft, nennt es Handwerk, zerstört eine schlechte Erfahrung mit einem Fachmann, der inkompetent ist oder daneben gegriffen hat, doch nicht das grundsätzliche Vertrauen in die Kompetenz der Fachleute. Aber es schärft das Bewußtsein dafür, daß auch ein Fachman irren kann und daß man daher sein kritisches Mitdenken nicht abstellen soll.
Das hat aber mit dem Dunning-Kruger-Effekt zunächst nichts zu tun.
Ciao Michael,
dem kann ich nur uneingeschränkt zustimmen!
Es gibt nämlich auch jede Menge „Experten“ mit ausgeprägtem
Dunning-Kruger-Syndrom. Besonders unter den Medizinern.
Unter anderem, weil die Medizin eben keine Wissenschaft ist!
Bewußtsein + Wachsamkeit sind der Preis der Freiheit!
Je besser diese beiden Faktoren ausgebildet sind, desto stärker ist das
Selbstvertrauen und dieses ist wichtiger als das Urvertrauen!
Ich habe vor langer Zeit mal gelesen, dass, wenn jemand heute eine Himbeere „erfinden“ würde, es für selbige keine Lebensmittelrechtliche Zulassung geben würde…
Was bringt es aber, wenn man weiß, dass man sein Urvertrauen verloren hat?
Frei nach Nirvana: Zu wissen, dass man paranoid ist, heißt nicht, dass keiner hinter einem her ist.
Heißt hier, vielleicht gibt es ja durchaus oftmals gute und berechtigte Gründe, sein Urvertrauen zu verlieren?!?
Das ändert aber, statistisch betrachtet, in den meisten Fällen rein gar nichts!
Soll heißen: Jemand, völlig ohne Ahnung von Ernährung, kann oft mit relativ wenig Aufwand genau so viel erreichen wie jemand, der sich jeden Tag stundenlang mit Studien-Lesen befasst, weil er Angst vor irgendeiner Bedrohung vor Ärzten oder sonstigen Leuten hat. Noch mal anders: Es ist fraglich, wie viel „Experten-Wissen“ uns Laien tatsächlich hilft in Relation zu dem, was wir uns in der Zwischenzeit vor Angst in die Hosen machen.
Ich bin anderer Meinung. Ich bin Ingenieur. Das Aneignen und Anwenden von Wissen ist mir geläufig. Ich habe durch den Einstieg in die Biochemie ein paar für mich sehr wichtige Gesundheitsprobleme lösen können. Ohne Wissen, nur durch Rumprobieren hätte ich keine Chance gehabt.
Und einen weiteren Aspekt sollte man auch nicht vernachlässigen: je mehr man weiß, desdo weniger Fehler macht man. Das halte ich gerade in Bezug auf so ein wertvolles Gut wie meinen eigenen Körper für wichtig.
Mag sein, weil dein Problem vermutlich auch etwas spezieller war. Man muss sich zunächst fragen, wie gravierend das Problem ist und wie viel Detailwissen gefragt ist. Für die meisten Probleme der zivilisierten Welt gibt es häufig relativ einfache Lösung. Also im Gesundheitsbereich.
Hallo Wolfgang,
wie kannst du dir sicher sein, dass du von Kausalität und nicht von Korrelation sprichst?
Das hätte ich ja nie gedacht, diese Erdbeeren sind ja die reine Chemie! Also, mein Urvertrauen in die Natur ist jetzt auch weg! ;-)