Mitochondrien. Im Zentrum der Forschung. Im Zentrum der Frage, wie wir gesund bleiben und werden. Wie wir fit bleiben und werden. Mitochondrien sind das, um was wir uns immer kümmern müssen. Genau das habe ich sehr früh erkannt. Vor über 10 Jahren schon (damals noch Sportstudent) wollte ich wissen, wie man seine Mitochondrien fit bekommt.
Wie kann man die Dinger gesünder machen? Wie kann man sie „vermehren“? Denn klar ist: Mitochondrien, als Kraftwerke unserer Zellen, bestimmen nicht nur über die Gesundheit unserer Zellen, sondern sind auch dafür verantwortlich, genug Energie auszuspucken. Das macht sich nicht nur beim Treppensteigen oder beim Denksport am Schreibtisch bemerkbar. Es macht sich auch bemerkbar, wenn man sie maximal belastet, z. B. beim Sport. Daher dieser Blog und dieses Buch.
Bei intensiver körperlicher Belastung trennt sich bekanntermaßen die Spreu vom Weizen. Doch auf die Idee, dass nicht jeder die gleiche Mitochondrien-Grundlage hat, ja auf die Idee muss man erst mal kommen. Mitochondrien unterscheiden sich von Person zu Person – und Mitochondrien unterscheiden sich in ihrer Leistungsfähigkeit. Heißt auch, nicht jeder kann seine Mitochondrien gleich belasten. Jetzt wird’s spannend, nicht wahr?
Warum es unterschiedliche Mitochondrien gibt
Um zu verstehen, um was es hier geht, muss man nur einen Gedanken kennen: Mitochondrien haben ihre eigene DNA (mtDNA; mitochondriale DNA) – denn auf der liegen einige Baupläne für die Proteine, mit denen sie arbeiten. Wie bei unserer normalen Zell-DNA finden sich auch in der mtDNA Mutationen. Diese Mutationen gewährleisten Anpassungsfähigkeit, denn sie sorgen dafür, dass Proteine sich immer ein bisschen anders verhalten. Dadurch kann immer wieder neu auf Umweltereignisse reagiert werden.
Mitochondrien werden immer mütterlicherseits vererbt. Verfolgt man also einen „Mitochondrien-Stammbaum“, landet man irgendwann bei der „Ur-Mutter“ mit den „Ur-Mitochondrien“. Da von ihr ausgehend ein Stammbaum entsteht und viele Sub-Populationen sich auf der Welt verteilen, entstehen viele neue Mutationen in der mtDNA, die immer dafür sorgen wollen, dass Mitochondrien vor dem Hintergrund der Umwelt optimal funktionieren.
Immer wieder die Frage: Woher wissen wir, woher der Mensch kommt? MtDNA ist eine Möglichkeit, das zurückzuverfolgen. Surprise, surprise: Afrika.
Und genau so ergibt sich ein Stammbaum von vielen verschiedenen „Mitochondrien-Typen“, die unterschiedliche Mutationen tragen – man spricht von mtDNA-Haplogruppen.
Wenn wir von unseren Mitochondrien sprechen, sprechen wir sehr wahrscheinlich von europäischen mtDNA-Varianten, die in der Regel die Buchstaben H (40-50 %), U (ca. 15 %), T (ca. 10 %), J (ca. 10 %), K (ca. 7-8 %), V, W, X und I (unter 5 %) tragen. All jene Haplogruppen sind durch ein spezifisches Set an Mutationen definiert. Freilich gibt es zu jedem Buchstaben eine Unterklade, sprich weitere Verzweigungen, auf die wir aber der Einfachheit halber nicht eingehen.
Dank der mtDNA-Mutationen bzw. den mtDNA-Haplotypen lassen sich auch Migrationsrouten ausmachen, die aufzeigen, wie diese Mitochondrien nach Europa gekommen bzw. wie deren Verteilung innerhalb von Europa ist:
Eine spannende Frage wäre nun, wieso sich spezifische mtDNA-Haplotypen gegenüber anderen eher durchsetzen. Wieso tragen z. B. fast die Hälfte aller Europäer Mitochondrien des Haplotyps H (mit seinen Untergruppen)? Den genauen Grund für solche Aufteilungen wird man vermutlich nie herausfinden – selbst dann, wenn man die jeweiligen Migrationsrouten und Umweltbedingungen erfasst, in denen diese Haplotypen entstanden sind.
Amüsante Randnotiz: Die Haplogruppen-Aufteilung, wie man sie heute findet, findet man ungefähr auch bei den Ackerbauern des Neolithikums in Europa vor vielleicht 5000 Jahren. Da hat sich – bis auf die starke Penetranz der Haplogruppe H – nicht viel verändert seither. Aber: Davor, etwa vor 10.000 Jahren im Mesolithikum zum Ende der Eiszeit, findet man quasi nur den Haplotyp U. U, vor allem U5b, sind also sozusagen der Jäger-und-Sammler-Mitochondrien, die immerhin noch circa 15 % von uns durch die Gegend tragen.
Mitochondrien verschiedener Haplogruppen zeigen andere Eigenschaften
Die verschiedenen mtDNA-Haplotypen haben unterschiedliche Eigenschaften, also unsere Mitochondrien haben unterschiedliche Voraussetzungen. Nehmen wir mal Haplotyp J, den ich selbst trage – jeder Zehnte ihn Europa läuft damit rum. Ich selbst mit der Untergruppe J1c, das ist der häufigste Subtyp. Interessant ist, was man über diese Haplogruppe lesen kann.
So wurde festgestellt, dass Mitochondrien bestimmter Untergruppen der Haplogruppe J – z. B. J1c – schlechter darin sind, Energie effizient umzusetzen, teilweise deshalb, weil wohl die Zahl der Mitochondrien herabgesetzt ist. Heißt, bei gleichem Energieinput geht mehr Energie in Form von Wärme verloren – man spricht von „uncoupling genomes“, denn Energie, z. B. aus Kohlenhydraten oder Fetten, werden eben nicht „gekoppelt“ und effizient zu Körperenergie (ATP) umgesetzt, sondern vermehrt, entkoppelt, zu Wärme.
Das hat mehrere Implikationen. Zum einen sind solche Mitochondrien nicht so extrem belastbar. Kann man sich vorstellen. Wer beispielsweise 10 km quasi an der anaeroben Schwelle rennen will, der braucht Mitochondrien, die maximal effizient Energie umsetzen. Habe ich eh immer gehasst. Spannend: Manche Studien (1, 2) berichten, dass man die Haplogruppen J und K seltener bei Ausdauer-Athleten findet und öfter bei Sprintern – letztere belasten Mitochondrien kaum maximal, sondern gewinnen ihre Energie bei Hochbelastung eher aus der Glykolyse, sprich Mitochondrien-unabhängig.
Forscher konnten zudem herausfinden, dass genau jene Mutationen, die für diese Drosselung der maximalen Mito-Leistungsfähigkeit bei erhöhter Wärmeproduktion verantwortlich sind, vermehrt bei Tibetern zu finden sind, die im Hochland leben. Man geht davon aus, dass diese Mutationen die Zelle dazu „zwingen“, ihre Energie vermehrt aus der Glykolyse zu beziehen. Das wiederum spart Sauerstoff, den man im Hochland braucht. Zeitgleich halten diese Mitochondrien den Körper wärmer.
Diese „uncoupling genomes“ schützen darüber hinaus möglicherweise vor einigen Erkrankungen (z. B. vor Parkinson) und sind wohl mit Langlebigkeit assoziiert. Ähnlich, wie man das von „uncoupling proteins“ kennt, die die Energiegewinnung der Mitos gleichermaßen ineffizienter machen, aber dabei dafür sorgen, dass weniger freie Radikale entstehen. Spannend, nicht wahr?
Der große Nachteil: Diese Mitochondrien sind störungsanfällig. So konnte in einem Versuch beispielsweise gezeigt werden, dass das Mitochondrien-Gift Rotenon besonders giftig für Mitochondrien der Haplogruppe J1 ist. Die Haplogruppe H kommt im Gegensatz dazu ziemlich okay damit klar.
Mal gefragt, was passiert, wenn du diese Mitochondrien ärgerst? Überforderst? Zum Beispiel, indem du sie konstant härter arbeiten lassen musst, als sie wollen? Durch Kaffee? Durch zu intensiven Ausdauersport?
Erkenntnisse aus dem Spitzensport
Schaut man sich Daten zum Leistungssport an, gibt es weitere spannende Erkenntnisse:
So konnte anhand von polnischen Elite-Athleten herausgefunden werden, dass es im Vergleich zum Bevölkerungsschnitt weit weniger Elite-Athleten mit Haplogruppe K im Sport gibt. Hier könnte man also vermuten, dass diese Haplogruppe mit Blick auf die sportliche Leistungsfähigkeit einen Nachteil für die Träger hat, was sich dann speziell im Spitzensport bemerkbar macht.
Außerdem hat man untersucht, welche Haplogruppen auf Weltklasse-Ebene bei Ausdauer- vs. Kraftsportlern zu finden ist.
Hier hat man entdeckt, dass die Haplogruppe H wohl einen Vorteil im Ausdauersport bietet, denn diese Gruppe war im Verhältnis zum Kraftsport stark überrepräsentiert im Ausdauersport. Umgekehrte Trends konnte man in einigen anderen Haplogruppen beobachten, was aber aufgrund der geringen Probandenzahl keine statistische Signifikanz erreichte.
Es gibt nicht „die“ Mitochondrien
Allgemein gilt, dass man sehr, sehr vorsichtig sein muss bei der Bewertung solcher Analysen. Die Datenlage dazu ist weiterhin ist extrem dünn und man wird noch einige, viele Jahre brauchen, um hier klar herauszuarbeiten, was welche Mitochondrien bzw. Haplogruppen können – und was nicht. Für was sie anfällig sind, welche Effekte die Mutationen haben, die sie tragen, und warum sie diese Mutationen tragen.
Hinzu kommt, dass jedes Mitochondrium in der Zelle eingebettet ist eine riesige Vielfalt genetischer Individualität. Denn, wie edubily-Leser wissen, wird die Mitochondrien-Gesundheit ja nicht nur vom Mitochondrium (via eigene mtDNA) selbst reguliert, sondern auch von der „Wirtszelle“, also von unserer DNA im Zellkern, z. B. über PGC1alpha – was bekanntermaßen der Grund ist, warum Sport die Muskelzellen fit macht:
Mit diesem Beitrag wollte ich nur einmal aufzeigen: Man muss sehr aufpassen mit pauschalen Ratschlägen. Wir sind alle verschieden. Es gibt auch nicht „die“ Mitochondrien. Je nach Haplogruppe – aber auch je nach genetischer Ausstattung natürlich – kann es sein, dass das Mitochondrium komplett andere Substrate oxidiert. So erklärt sich auch, warum einige besser fahren mit Low carb (mehr Fettverbrennung) und warum es für manche vielleicht der Genickbruch ist. Wenn also die Mitochondrien ohnehin nicht gut darin sind, Energie über die Atmungskette umzusetzen, wie bei der Fettoxidation.
Zeitgleich sind wir alle unterschiedlich sensitiv gegenüber Umweltgiften. Das was den einen möglicherweise lahmlegt, ist für den anderen gar kein Problem. Merkt der vielleicht nicht mal. Das ist auch mein Appell an Mediziner, an Behandler im Allgemeinen: Nehmt den Leuten durch Standardisierung ihre Individualität nicht! Wir müssen in Zukunft sehr viel genauer auch sowas, wie hier erklärt, im Blick haben, wenn wir Menschen helfen wollen.
Over and out :-)
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Wie findet man eigentlich seine eigene mtDNA-Haplogruppe raus? Ganz einfach: DNA-Test machen. Bei 23andme, zum Beispiel, wird die mtDNA-Haplogruppe gleich mit angezeigt.
2 comments On Sind alle Mitochondrien gleich?
Vielen Dank für diesen sehr interessanten Artikel.
Dass es da Unterschiede gibt sehe ich immer wieder an meinem Mann und mir.
Mein Mann ist der Ausdauersportler der lange Zeit auf recht hohem Niveau Leistung erbringen kann und eine kurze Regenerationszeit hat. Für ihn sind 10 km in deutlich unter einer Stunde ein lockerer Lauf. Für mich wäre das die Hölle. Ich gleiche eher dem Löwen in der Sonne die in der Mail beschrieben wurden. Große Geduld, in kurzer Zeit sehr hohe Leistung bringen können und dann aber bitte eine lange Regenerationsphase.
Bis wir da drauf gekommen sind dass es da echt Unterschiede gibt für die wir nichts können – haben uns jahrelang gegenseitig Vorwürfe gemacht, dass ich zu faul und er zu umtriebig ist – gab es einiges an Streitereien, weil die jeweilige Variante bei jedem schon sehr deutlich ausgeprägt ist.
Ich habe einen Gentest bei 24Genetics gemacht. Da war zwar eine umfangreiche Auswertung auf deutsch dabei aber die Haplogruppe habe ich nirgends gefunden.
Ich habe mich mit Hilfe des Gen-Buches von Robert Krug durch die Daten gewühlt und sehr interessante Tatsachen ans Licht gebracht – für mich haben sie die 300 Euro (Sonderpreis) auf jeden Fall gelohnt.
Weiß jemand ob man aus dem txt-Dokument mit den SNP*s auch die Haplogruppe ablesen kann?
Danke LG SM
Danke für den Artikel. Sehr interessantes Thema!
Könnt ihr einem Laien auf dem Gebiet DNA denn 23andme empfehlen? Ich würde wirklich gern mal so einen Test machen um mehr über meine Haplogruppe und ggf. auch meine Polymorphismen etc. zu erfahren. Allerdings habe ich keinen blassen Dunst welcher Hersteller eine brauchbare Auswertung anbietet…. Könnt ihr einen Hersteller mit einer detailierten aber dennoch verständlichen Auswertung empfehlen oder werd ich mich wohl oder übel mit dem Gen-Buch von Robert Krug hinsetzen und jedes Allel einzeln auswerten müssen? :P