Depositphotos 68963891 S

Alzheimer-Risikogen (APOE4) entschärfen

Wenn man von Risikogenen spricht, spricht eigentlich von Varianten, des jeweiligen Gens.

Denn: Gen X ist bei dir und mir nicht 100 % identisch. Tatsächlich gibt es kleinste Mutationen, meistens s. g. SNPs (Single nucleotide polymorphisms; ’snips‘), also eine Mutation an genau einer Stelle im Gen, die in der Summe dazu führen, dass wir Menschen … unterschiedlich sind.

Es kann also vom selben Gen mehrere Genvarianten geben. Und genau darum geht’s, wenn wir zum Beispiel vom „Alzheimer-Risikogen“ sprechen. Damit ist faktisch nicht ein spezielles Risikogen gemeint, sondern eine Genvariante, die das Risiko für die Krankheitsentstehung erhöht.

Mit Blick auf das in der Überschrift genannte APOE4 zeigt sich, dass 15 % der Europäer diese Genvariante tragen. Und man weiß, dass es eine Risikovariante ist, weil … 50 % der Alzheimer-Patienten diese Variante tragen. Heißt aber auch: APOE4 erklärt nur ein Teil des Risikos. Und: Viele, die APOE4 tragen, bekommen kein Alzheimer.

Das ist Apolipoprotein E (APOE)

Doch was macht APOE überhaupt? Apolipoprotein E ist, wie der Name verrät, ein Lipoprotein, das beispielsweise in der Leber oder auch von bestimmten Zellen im Nervensystem, z. B. Astrocyten (versorgen Neuronen) oder Mikroglia („Immunzellen des Gehirns“) gebildet wird. Lipoproteine binden Fette und transportieren z. B. fettlösliche und Cholesterin zu Zellen, die dies wiederum verwerten. 

Mit Blick auf das APOE-Gen gibt es drei wichtige Genvarianten (E2, E3 und E4), die wiederum von zwei SNPs definiert werden. Heißt, das APOE-Gen, das wir jeweils von Mama und Papa erben, zeigt an genau zwei Stellen eine Punktmutation und genau diese beiden Stellen diktieren, welche der drei Varianten wir haben. Das habe ich hier mal veranschaulicht:

APOE4
Welchen APOE-Typ man trägt, hängt von zwei Punktmutationen (rs7412 und rs429358) ab. CT (links) heißt APOE3 und CC ist APOE4 (rechts). Ob man also das „gute“ APOE3 oder das „böse“ APOE4 trägt, entscheidet sich an genau einer Position. 

Das Prinzip ist relativ einfach: Wir bekommen ein APOE-Gen von Mama (links) und eins von Papa (rechts). Diese zeigen jeweils an zwei Positionen Punktmutationen, die einmal rs7412 heißen und einmal rs429358. Macht man nun einen Gen-Test, so wie ich, kann man sich die Positionen im eigenen Genom anschauen.

Für die Position mit dem Namen rs7412 kriege ich ein C von Mama und ein C von Papa (CC). Und für die Position mit dem Namen rs429358 bekomme ich ein TC ausgespuckt. Was heißt das jetzt? Das heißt, dass ich von Mama (das ist fiktiv) ein APOE mit den Buchstaben CT bekommen habe (links) und von Papa (fiktiv) eins mit CC.

APOE3 genotyp
Mein Genom ist komplett entschlüsselt. Ich gebe die entsprechende Position des Gens ein, hier den SNP rs429358 und ich sehe: CT. 

Definiert sind die APOE-Typen wie folgt:

  • ε2 (rs7412-T, rs429358-T) – vermutlich protektiv (Träger weltweit: ≈8 %)
  • ε3 (rs7412-C, rs429358-T) – „neutral“ = kein erhöhtes Risiko für Alzheimer (Träger weltweit: ≈78 %)
  • ε4 (rs7412-C, rs429358-C) – stark erhöhtes Risiko für Alzheimer (Träger weltweit: ≈14 %)

So, wie man also mehr oder weniger unschwer erkennen kann: Wer CT beim APOE trägt, bekommt ein APOε3 – das habe ich von „Mama“ geerbt. Und wer ein CC erbt, bekommt ein APOε4 (hier im Beispiel von Papa). Jackpot. Also, ich bin Träger von APOE3/APOE4-Mixtyp mit einem 2-3-fach erhöhten Risiko für Alzheimer. E4/E4-Träger haben ein bis zu 20-fach erhöhtes Risiko.

Wieso ist APOE4 (ε4) so böse? 

Drum lese ich aufmerksam Studien zu dem Thema, weil ich diese Erkrankung nicht erleben will. Ja, ich weiß – der Witz an der Sache ist ja, dass man es selbst mehr oder weniger eh nicht mehr checkt. Aber meine Kinder dann vielleicht – und das wäre umso schlimmer.

Doch wieso ist dieses APOE4 so böse? Wie kann sich eine so böse Genvariante durchsetzen? Nun, eigentlich ist die gar nicht so böse. APOE4 gilt als die erste APOE-Variante, die vor vielen Millionen Jahren entstand. Die beiden Varianten E2 und E3 entstanden erst vor 200.000 bzw. 300.000 Jahren.

Heißt, es gibt einen Grund, warum diese Variante existiert. Und in der Tat: E4-Träger haben deutlich bessere Vitamin-D-Spiegel. Drum wird spekuliert, dass es den Frühmenschen geholfen hat, genug Vitamin D zu bilden, nachdem sich die Haut zunehmend dunkel färbte. Zusätzlich:

  • APOE4 senkt bis halbiert vermutlich das Krebsrisiko
  • Junge APOE4-Träger scheinen eher geschützt zu sein vor Durchfallerkrankungen und Unterernährung
  • Teils zeigen APOE4-Träger sogar bessere kognitive Leistungen
  • Und in Nordeuropa kommt APOE4 besonders häufig vor, wohl, weil es deutlich positiven Einfluss auf den Vitamin-D-Stoffwechsel hat

Da im Leben alles seinen Preis hat, „bezahlt“ man das wohl mit einem höheren Risiko für kognitiven Verfall im Alter. Wie genau das passiert, ist Gegenstand der Forschung und Forscher tun sich – ob der Komplexität des Themas –augenscheinlich schwer hier eindeutige Erklärungen zu finden.

So scheint APOE4 das Risiko für Alzheimer zu erhöhen

Doch neue Forschungen geben Ansätze. So liest man beispielsweise:

In dieser Studie wurde festgestellt, dass APOE4 auch die Funktionen von Mikroglia und Astrozyten beeinträchtigt, was zu Cholesterinansammlungen, Entzündungen und dem Unvermögen, Amyloid-Beta-Peptide abzubauen, führt.

Heißt also, APOE4 beeinträchtigt die Funktionalität von Mikroglia, also den Immunzellen des Gehirns, die die krankmachenden Amyloid-Proteine verdauen, und den Astrozyten, die Neuronen ja mit Nährstoffen versorgen. Offenbar durch Cholesterinanreicherung. Aha!

Und mehr:

Eine Folgeuntersuchung aus dem Jahr 2021 zeigte, dass APOE4-Astrozyten in ihrer Fähigkeit, eine Vielzahl von Lipiden zu verarbeiten, dramatisch beeinträchtigt sind, was zu einer Anhäufung von Molekülen wie Triglyceriden und Cholesterin führt.

So, so. Man hat also nochmal genauer nachgesehen und herausgefunden, dass Astrozyten, die Neuronen-Versorger, Fette nicht richtig verstoffwechseln, was dann zur Anreicherung von Fetten und Cholesterin in den Zellen führt. Und:

Die Forscher fanden heraus, dass APOE4 die Fähigkeit der Mikroglia, Lipide zu metabolisieren, stört und sie daran hindert, Lipide aus ihrer Umgebung zu entfernen. Dies führt zu einer Anhäufung von Fettmolekülen, insbesondere Cholesterin, in der Umgebung.

Ähnliches Spiel also auch in den Immunzellen des Gehirns, die in ihrer Funktion dann beeinträchtigt werden, was wiederum die Neuronenfunktion stört. Wir werden deppert, das Gehirn entzündet sich und dank der Fettanreicherung wird das Hirn auch noch insulinresistent – der bekannte „Typ-3-Diabetes“.

Ist Cholin die Lösung?

So. Auf was ich eigentlich hinaus wollte ist … die Lösung. Die taucht nämlich auch in diesen Arbeiten auf, die anhand von Zelllinie mit Astrozyten oder in Hefezellen, die APOE4 tragen, beiläufig rausgefunden wurde:

„Die Behandlung mit Cholin verbesserte alle von uns beobachteten Störungen des Lipidstoffwechsels“, so Tsai gegenüber Alzforum. „Sie brachte die Hefe und die Astrozyten zurück in einen homöostatischen Zustand.“

Die Forscher hatten erkannt, dass man die durch APOE4 bedingte Störung des Fettstoffwechsels in Nervenzellen umkehren oder verbessern muss, damit diese Zellen gesund bleiben. Ein bestimmtes Medikament (Triacsin C) schaffte das. Aber mit starken Nebenwirkungen.

Cholin schaffte es auch, allerdings freilich ohne Nebenwirkungen.

Die Forscher wenden sich nun dem Cholin zu und … wollen ihren Tieren in neuen Alzheimer-Versuchen mit Extra-Cholin füttern.

Warten wir mal ab, welche Erkenntnisse diese Studien bringen. Fakt ist: Cholin ist immens wichtig für den Fettstoffwechsel. Und offenbar kann Cholin sogar schwere Störungen des Fettstoffwechsels beheben. Das wäre bahnbrechend.

Hier gibt es alles, was du wissen musst, zu Cholin. Cholin wäre ein Alzheimer-Risikofaktor, der einfach zu beheben wäre – Stichwort Eier. Ich sage schon immer: Damit das Gehirn gesund bleibt, muss man gehaltvoll essen. Gehaltvoll fürs Hirn. Das sind nun mal so Stoffe wie Omega 3, Arachidonsäure, Iod, Selen, aber halt auch Phospholipide wie Cholin… Fisch, Eier, Innereien und so… nix „Vegan“…

 

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

6 comments On Alzheimer-Risikogen (APOE4) entschärfen

  • Hi Chris

    Sind für dich denn Omega-3s nicht auch sehr wichtig? So weit ich verstanden habe, ist für APOE-4-Träger DHA besonders wichtig, um die Amyloid-Plaques im Gehirn zu verringern. Cholin alleine kann ja meines Wissens keine Entzündungen im Gehirn abbauen, sondern „nur“ die Zellmembran der Neuronen schützen. Das ist ja auch schon sehr genial, aber wenn sich trotz Schutz Amyloid-Plaqeues bilden, kommt Cholin nicht aktiv dagegen an. Für den Abbau der Plaques und um die Entzündung im Gehirn zu mindern, bräuchte es dann wohl doch DHA aus den Omega-3-Fettsäuren.

    Ich habe mich gerade mit diesem Thema befasst und es scheint ein Problem zu sein, als Träger der APOE-4-Variante genügend DHA ins Gehirn zu bekommen, außer man isst täglich Fisch, wo DHA in Phospholipiden daherkommt. Aber ich schaffe es nicht, täglich Fisch zu essen, max. 3x die Woche.

    Die Lösung wäre, Omega-3-Supplemente in Phospholipidform zu nehmen, damit DHA überhaupt im Gehirn ankommt. Das Problem dabei ist, dass Krillöl und Rogen (phospholipide Formen) extrem wenig DHA enthalten und man müsste sich schon in Unkosten stürzen, um eine genügend hohe Dosis abzubekommen.

    Nun habe ich mir überlegt, ob man auch normales Omega-3 nehmen kann (z.B. aus Fischöl mit Triglyceriden), dazu aber als Supplement noch Cholin dazunehmen. Nur weiß ich nicht, ob das so funktioniert, da das DHA dann ja nicht direkt mit dem Cholin verbunden ist. Kenne mich chemisch zu wenig aus. Ich stelle mir vor, dass wenn das Fischöl bereits an Triglyderide gebunden ist, wird es sich wohl nicht mit dem zusätzlichen Cholin, das man substitutiert, verbinden, oder? Was denkst du darüber? Oder findest du Omega-3s für APOE-4-Träger ohnehin überbewertet? Ich weiß, dass Omega-3s manchmal zu sehr gepusht werden, aber in punkto APOE-4 denke ich, hat das schon seine Berechtigung.

    Liebe Grüße, Nicole

    PS: Zum Grund, warum es zuerst APOE-4 gab, war vermutlich nicht nur der Zusammenhang mit Vitamin D. In dieser Zeit wurden die Menschen nicht sehr alt (Demenz gab es nicht) und sie haben sich sehr viel bewegt und ware nicht übergewichtig (kein Risiko für Herz- Kreislauferkrankungen und Insulinresistenz). Es gab also für die APOE-4 Variante damals keine Nachteile. Zum Problem wurde diese Variante erst später, als die Menschen sesshafter und viel älter wurden, weshalb sich wohl der Genotyp APOE-3 entwickelt hat.

    • Hi,
      doch, DHA und Omega 3s sind wichtig. Kann man ja hier im Blog nachlesen. Es gibt bei APOE4 möglicherweise einen Uptake-Defekt an der Bluthirnschranke, das stimmt. Und natürlich kann man im Kontext einer APOE4-Genetik darauf achten und es einnehmen. Was viele nicht wissen: Rund ein Drittel bis die Hälfte des Omega 3s in Fettfischen kann bereits in der Phospholipidform vorliegen. Das gilt natürlich eher nicht für Fischöle, die hauptsächlich Triglyceride enthalten. (Vgl. Marine Omega-3 Phospholipids: Metabolism and Biological Activities: „Je nach Fischart kann bis zu einem Drittel des EPA- und DHA-Gehalts in Form von PLs vorliegen. Eine Studie hat gezeigt, dass in Atlantischem Lachs EPA und DHA in einem Verhältnis von 40:60 an PLs und TGs gebunden sind.“) Tatsächlich scheinen PLs über die Nahrung sich wesentlich besser im Gehirn/ZNS anzureichern als Triglyceride als Ergänzung. Im Essen liegen PLs oft gebunden an Cholin vor. Fisch ist also doppeltgünstig aus der Perspektive.

      Cholin allgemein schützt ja gerade nicht nur die Neuronen, das war ja Thema des Artikels. Es hat vielfältige Effekte auf das Gehirn. Und auch Cholin wirkt anti-entzündlich. Allgemein sieht es so aus, dass APOE4 zu Störungen des Energiestoffwechsels führt, und zwar nicht nur im Gehirn sondern im ganzen Körper. APOE4 macht den Körper anfälliger für eine „ungesunde“ Lebensweise und APOE4-Träger müssen allgemein gesünder leben um nicht krank zu werden. APOE3 und -2 bzw. -4 aber auf das Gehirn zu limitieren, wie von dir angedeutet im PS, reicht aber nicht. APOE4 schützt offenbar z. B. vor Infektionen und in unberührt lebenden Populationen wie den Tsimané, die auch alt werden, kommen die Effekte von APOE4 mit Blick auf die Demenz/Alzheimer kaum oder nicht zum Tragen. Fakt ist, APOE4 ist die uralte, „normale“ Variante. Ich glaube nicht, dass es sich hierbei um einen „evolutionären Blindspot“ handelt, der erst im Alter entscheidend wird und von der Evolution „übersehen“ wurde. Sowas postuliert man oft, aber das gilt für quasi kein untersuchtes Problemgen oder -phänomen. Das ist genauso wenig normal wie der Herzinfarkt oder der Diabetes im Alter. APOE3 entschand auch nicht im Zuge der Sesshaftwerdung – im Gegenteil, APOE3 gibt es seit über 200.000 Jahren, ist also so alt wie Homo sapiens.

      Beste Grüße
      Chris

      • Vielen Dank, Chris, für deine Erläuterungen. Hat mir sehr weitergeholfen und Licht in die dunkleren Ecken gebracht.
        Liebe Grüße ;-)

  • Hi Chris,
    ja, danke für den Hinweis. Werde es mal probieren.
    Was noch wichtig ist für die APOe4 Leute: Oxidiertes LDL beachten bzw. Partiekelgröße. auch da gibt es ja diverse Strategien, diese günstig zu beeinflussen.
    Hier noch eine Info:
    https://forums.apoe4.info/viewforum.php?f=4
    Tolles forum, in dem speziell auf die ApoE Problematik eingegangen wird.

  • Hi Chris,

    danke für diesen Artikel.
    Schön, dass darüber mal geredet wird und Gehirngesundheit ist ja nun imminent wichtig.
    Was Cholin betrifft: Wenn ich es nehme, steigt mein TMAO auf atronomische Höhen und TMAO ist ja leider auch ein Marker für Arteriosklerose. Gibt’s ’ne Lösung oder einen Kompromiss?

    • Hi Werner,

      Danke! Als Phospholipid nehmen, zB in Form von Lecithin oder Eiern. Hier steigt TMAO dann erst ab höheren Dosen an. Sollte funktionieren :-)

      LG

Leave a Antwort:

Your email address will not be published.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .