Ich habe hier eine Studie, über die ich schon länger schreiben wollte. Die heißt, „Neu5Ac-Fütterung schützt vor Arteriosklerose, die mit menschlichem Neu5Gc-Verlust einhergeht“. Da man jedoch das eine oder andere erklären muss, das wir hier und hier schon erläutert hatten, hat sich das Ganze etwas geschoben.
Die Studie kommt von einer Arbeitsgruppe der extrem renommierten University of California, San Diego (UCSD), die sich auf die Zelloberfläche spezialisiert. Sollte man also nicht verpassen.
Kurzes Neu5Gc-1×1
Zur Erinnerung: Ungefähr dann als vor circa drei Millionen Jahren die Gattung Homo entstand, der auch wir bekanntermaßen zugehören (Homo sapiens), ergab sich auch ein Verlust eines Gens, das für die Neu5Gc-Synthese zuständig ist.
Neu5Gc und der kongeniale Partner Neu5Ac sind grundsätzlich so genannte Sialinsäuren, die Zellen an der Oberfläche auskleiden („Glykokalyx“). Und dort spielen sie wichtige Rollen, vor allem im Immunsystem. Der Verlust von Neu5Gc auf unseren Zelloberflächen muss einen evolutiven Vorteil geboten haben, sonst hätte es sich nicht durchgesetzt.
Dazu zählt möglicherweise:
- Stärkeres Hirnwachstum (hier)
- Verstärkte Immunität (Makrophagen-Phagocytose; T-Zell-Proliferation) für bestimmte Erreger, aber höheres Risiko für septischen Schock (hier und hier)
- Und wichtig: Ggf. drastisch verbesserte Ausdauerfähigkeit (hier)
Letzteres ist wichtig, weil wir als Primat vor der Entstehung der Gattung Homo eher nicht die Ausdauerläufer waren. Spezies der Gattung Homo aber zeichnen sich prinzipiell vermehrt dadurch aus, dass sie auch längere Strecken zurücklegen können. Der Neu5Gc-Verlust hat das vielleicht katalysiert, genau so wie das starke Hirnwachstum in den letzten drei Millionen Jahren (= Verdreifachung des Schädelvolumens).
Neu5Gc *könnte* ein Risikofaktor sein
Umgekehrt zeigt sich, dass Neu5Gc, wenn es jetzt im Körper angereichert wird, eine Antikörper-Reaktion induziert, weil es im Körper selbst als Fremdsubstanz erkannt wird. Man spricht von Xenosialitis. Dieses Phänomen ist auch ein großes Hindernis bei Transplantationen von artfremden Geweben, die noch Neu5Gc tragen (z. B. Schwein oder Rind).
Neu5Gc nehmen wir über die Nahrung auf. In Geflügel und Fisch ist kein Neu5Gc enthalten, in Schwein und Rind (und in einigen anderen Fleischsorten) relativ viel (s. Tabelle unten). Da sich Neu5Gc vor allem in auskleidenden Oberflächenzellen anreichert, also z. B. im Epithel von Geweben und auch im Endothel (= innerste Schicht) der Arterien …
verursachen Anti-Neu5Gc-Antikörper chronische Entzündungen, insbesondere in den Blutgefäßen und den Auskleidungen (Epithelien) von Hohlorganen, wenn Neu5Gc aufgrund einer Ernährung mit viel rotem Fleisch und Milchprodukten ständig in das Gewebe eingebaut wird.
Drum wird Neu5Gc mit einigen Krankheiten assoziiert. Speziell bei solchen, wo man höhere Neu5Gc-Gehalte gemessen hat, z. B. in Tumoren oder in Arteriosklerose:
An diesen Stellen treten auch häufig Atherosklerose und Epithelkarzinome auf, die beide mit dem Verzehr von rotem Fleisch und Milchprodukten in Verbindung gebracht und durch chronische Entzündungen verschlimmert werden.
Drum ist Neu5Gc für mich persönlich eher eine Art „Gefäßgift“, das die Gefäßfunktion, speziell in der Mikrovaskularität verschlechtert. Ich glaube aber nicht, dass Neu5Gc allgemein der schlimme Krankmacher ist.
Neu5Gc macht Arteriosklerose – Neu5Ac kehrt es um
Hier setzt die neue Studie an. Die hat nämlich etwas Fabelhaftes gezeigt. Erst mal zu dem, was nicht so fabelhaft ist. Man hat einen speziellen Mäusestamm gezüchtet, der den menschlichen Neu5Gc-Syntese-Verlust genetisch nachahmt. Und hat man die Mäuse so gefüttert, wie wir das bei uns mit unserem westlichen Lebensstil machen („HFD“).
Raus kam, dass Neu5Gc die Arteriosklerose-Entstehung, bedingt durch die schlechte Ernährung, drastisch beschleunigt und verstärkt. Das hatte die gleiche Gruppe in einer vorigen Arbeit schon mal gezeigt. Doch es gibt ein Gegengift, nämlich Neu5Ac. Die Forscher fanden:
- Neu5Ac-Fütterung alleine schützt die Gefäße sehr stark vor Arteriosklerose.
- Neu5Ac-Fütterung nach Neu5Gc-Fütterung kehrt die Neu5Gc-verstärkte Arteriosklerose um.
- Neu5Ac-Fütterung zusammen mit einer Neu5Gc-Fütterung schwächt die Neu5Gc-verstärkte Arteriosklerose stark ab.
Allerdings wurde in dem Modell auch gezeigt, dass die Neu5Gc-Abstinenz nach einer Neu5Gc-reichen Ernährung die Arteriosklerose offenbar umkehren konnte.
Diese Intervention, die das Einstellen des Verzehrs von rotem Fleisch beim Menschen entspricht, führte zu einer signifikanten Verringerung der atherosklerotischen Plaques im Vergleich zu einer kontinuierlichen Neu5Gc-HFD-Fütterung.
Diese Unterschiede in der Größe der atherosklerotischen Plaques waren unabhängig von Veränderungen des Körpergewichts oder der Cholesterinkonzentration im Plasma und trotz der Erhöhung der atherogenen Serumspiegel triglyceridreicher Lipoproteine.
Heißt, Neu5Gc alleine war hier ein entscheidender Risikofaktor, ja eine Triebfeder für die Entstehung von Arteriosklerose in diesem Experiment. Und das einfache Weglassen von Neu5Gc in der Nahrung sorgte gar für eine Regression der Plaques, unabhängig von anderen, klassischen Risikofaktoren für Arteriosklerose.
Also ich finde das sensationell und alles andere als „ignorierenswert“. Schließlich stirbt jeder Zweite bei uns an genau dieser Krankheit.
Neu5Gc und Neu5Ac im Essen
Zu guter Letzt stellt sich vielleicht noch die Frage, wie man mehr Neu5Ac in die Ernährung bekommt. Dazu kann man sich einfach mal eine Lebensmittelliste anschauen, die Neu5Gc- und Neu5Ac-Gehalte zeigt.
- Gut erkennen lässt sich (in rot), dass Rind, Schwein und Lamm einiges an Neu5Gc enthalten. Aber auch Neu5Ac.
- Gar kein Neu5Gc, aber einiges an Neu5Ac findet man in Geflügel und Fisch.
- Die beste Quelle hier sind Eier, speziell das Eigelb.
- Milch und Käse sind jedenfalls in dieser Untersuchung okay,
- Muttermilch ist auf einem Level mit Eiern (gar kein Neu5Gc, sehr viel Neu5Ac).
Einschub: Wie sieht es mit Wildfleisch eigentlich aus?
Man sollte sich immer wieder daran erinnern, dass wir modernen Menschen erst seit dem Übergang vom Meso- zum Neolithikum vor vielleicht 8000 Jahren, angefangen haben, domestizierte Tiere zu essen. Davor war das Wild.
Und was mit Wildfleisch ist, wissen wir nicht. Wir wissen, dass es weniger Cholesterin enthält, mehr Protein, bessere Fettsäuren und so weiter. Sprich, bewegtes Fleisch ist besser.
Was mit Neu5Gc ist, kann aber niemand sagen. Denn offenbar haben manche Tiere unabhängig von der Fähigkeit Neu5Gc zu synthetisieren, mal viel, mal wenig oder gar kein Neu5Gc auf den Zellen. Vielleicht enthält Wild prinzipiell weniger Neu5Gc.
Hier zum Beispiel zeigt eine Studie, dass Hirsche deutlich weniger Neu5Gc im Muskel haben, Kangaroos gar keins.
Die Take-home message?
Für mich sind solche Ergebnisse sensationell. Nicht, weil ich glaube, dass man solche Untersuchungen 1:1 auf den Menschen übertragen kann. Dafür schauen sich solche Studien ja immer eher Mechanismen an, nicht so sehr die Tragweite an sich.
Mich überzeugt das aber. Weil es eine saubere Linie der Argumentation ist. Weil sich Arteriosklerose erst nach 40, 50 Jahren langsam bemerkbar macht. Weil Neu5Gc ein großer Bestandteil moderner, westlichen Ernährungen ist und weil wir kaum noch Faktoren in diesem Kontext haben, die solche Effekte abmildern. Und, weil ich Prävention betreiben will.
Wären Forscher bis heute nicht so besessenen vom und fokussiert auf den Lipidstoffwechsel (Cholesterin etc.) als Hauptursache für Arteriosklerose und endotheliale Dysfunktionen … dann hätten sich viele schon viel intensiver mit genau dieser Thematik befasst.
Für uns heißt es: Rotes Fleisch ist prima und wichtig. Im Kontext eines (sehr) gesunden Lebensstils und bei normalen Verzehrmengen (= nicht ein Kilo am Tag) sicher weitestgehend unproblematisch. Vielleicht ist Neu5Gc in diesen, niedrigen Mengen auch förderlich, wer weiß. Geflügel, Fisch und Eier enthalten kein Neu5Gc, aber viel Neu5Ac, womit man möglicherweise aktiv Prävention betreiben kann.
Und darum geht’s.
8 comments On Arteriosklerose verhindern? Neues von Neu5Gc und Neu5Ac
Hallo Michael also findet man auch neu5Gc in Bovin Kollagen und wie sieht ed mit Whey Protein aus? LG!
Danke für den überaus interessanten Beitrag. Im Blog auf der bisherigen website von edubily gab es ja bereits vor Jahren mindestens 1 Artikel, der auf Neu5Gc eingegangen ist. Dass Neu5Gc eine Ursache für starke Entzündungen in den Gefässwänden darstellen könnte, sollte nun jedem klar sein. Und bei wem Plaques in the Gefässen festgestellt wurde, ist gut bedient, seinen übliche Ernährung auf Neu5Gc zu „unteresuchen“. Was aber das ganze so unberechenbar macht, ist dass der Gehalt an Neu5Gc auch bei ein und der derselben Spezies sich stark unterscheiden kann. Warum in der verlinkten Studie weibliche Hirsche gar kein Neu5Gc aufwiesen, scheint niemand zu wissen. Einerseits scheint Neu5Gc von der DNA des Lebewesens abhängig zu sein, andererseits bildet es sich trotzdem nicht immer oder nicht immer gleich stark aus. Wie geht das denn? Könnte es beim Hirsch vom Hormon-Haushalt abhängig sein? Vielleicht ist das bei Rehen (Trughirsch) auch so. Vielleicht findet man eines Tages auch bei einem Hunde und/oder einem Känguru Neu5Gc, wenn man nur genügend oft diese auf Neu5Gc untersucht.
Tight-Junction-Proteine kommen ja auch in den Organen, insbesondere im Hirn vor (Blut-Hirn-Schranke). Könnte ein zu viel an Neu5Gc im Hirn zu einer erhöhten Permeabilität führen und damit auch für neurodegenerative Erkrankungen verantwortlich sein? Oder überwiegen die Risiken an Leaky-Gut und/oder Arteriosklerose zu erkranken?
Hi, ja, sehr gute Gedanken, die man sich genau so stellen sollte zu diesem Thema. Ich kann dir hier auch keine eindeutigen Antworten geben. Ich denke, da wird noch einiges an Forschung kommen die nächsten Jahre. Dass Proteine bzw. die Synthese von Metaboliten gewebespezifisch an- oder abgeschaltet sein können, ist jedoch nichts Besonderes. Das macht es für uns Laien nur schwer, den Neu5Gc-Gehalt ordentlich einschätzen zu können. Denn obwohl man ungefähr weiß, welche Spezies kein Neu5Gc mehr bilden können, weiß man quasi nix über Spezies, die es bilden können, aber in manchen Geweben (z. B. Muskel) eben nicht tun.
Fakt ist nur, dass es für mich durchaus Eigenschaftem vom roten Fleisch gibt, die sich als ungünstig für Gesundheit und Co. erweisen können, während sie im Geflügel und Fisch nicht enthalten sind – das deckt sich überraschend gut mit der epidemiologischen Datenlage.
Deine letzte Frage zu den TJ: Ja! Auch im Gehirn scheint Neu5Gc ungünstig zu wirken. Hierzu gab es vor wenigen Jahren eine Doktorarbeit bei der Uni Bonn: https://bonndoc.ulb.uni-bonn.de/xmlui/handle/20.500.11811/7495
Danke Chris für das Teilen Deiner Meinung. Ja, die Epigenetik hatte ich in meinen Gedanken vergessen zu berücksichtigen. Die Aussagen in der verlinkten Studie zur Alzeimer-Erkrankung sind für einen Laien wie mich leider nicht einfach zu verstehen. Ausser, das Neu5Gc einen negativ Effekt haben könnte.
Mikroglia sind Immunzellen des Gehirns. Ich übersetze mal den wesentlichen Punkt der Arbeit:
„Die Inkorporation von Neu5Gc führt im Laufe der Zeit zu einer Anhäufung dieser Sialinsäure (in Mikroglia). Die akkumulierte Sialinsäure aktiviert die Komplementkaskade und verursacht Radikalausbrüche in Form von reaktiven Sauerstoffspezies. Chronisch entzündungsaktiverende Mikroglia werden dysfunktional und schaffen es nicht, abgelagertes Amyloid beta (Aβ) abzubauen. Unkontrolliert sammelt sich Aβ in Plaques an, die die umliegenden Gliazellen weiter aktivieren. Es entsteht ein Teufelskreis aus Aktivierung, Entzündung und schließlich Neurodegeneration.“
Na das sind ja mal gute Nachrichten!
Was in der Studie bzw. Deinen Ausführungen nicht zu finden ist: Welche Zeitspanne beim Neu5Gc-Verzcht würde benötigt, um negative Auswirkungen wie z.B. Arteriosklerose umzukehren?
„Neu5Gc verstärkt Arteriosklerose im Kontext einer „westlichen“, fettreichen Ernährung („HFD“) drastisch. Neu5Gc kehrt es um und schützt die Gefäße sogar. “
müsste es nicht Neu5Ac sein das die Gefäße schützt und es um kehrt.
Jap, danke für den Hinweis. Ist korrigiert. :)