cAMP: Den Proteinschrott in den Zellen loswerden – Neue Studie!

Qualitätskontrolle.

Ein Wort, das mir sehr gefällt. Qualitätskontrolle im Körper – könnte man, bezüglich sämtlicher Proteinstrukturen im Körper, in „Klasse statt Masse“ übersetzen.

Das Autophagie-1×1

Dazu sollte man sich kurz vor Augen führen, dass der Körper zum einen Proteinstrukturen aufbauen möchte (z. B. Muskeln), zum anderen aber müssen diese Proteine auch funktionsfähig sein.

Denn: Die Zelle ist bis oben hin mit Proteinen vollgestopft, da alle Enzyme im Körper, die ja die vielen chemischen Reaktionen überhaupt erst ermöglichen, Proteine sind. Deshalb ist die „Zellsuppe“ keine Suppe, sondern eher ein Gel.

Versagt diese Qualitätskontrolle, gibt’s zum Beispiel „verklumpte“ Proteinhaufen, wie bei Alzheimer.

Fehlfunktionen bei der Proteinentsorgung der Zellen können zur Anhäufung von falsch gefalteten Proteinen führen, die die Zelle verstopfen, ihre Funktionen beeinträchtigen und im Laufe der Zeit die Entwicklung von Krankheiten auslösen, einschließlich neurodegenerativer Erkrankungen wie ALS und Alzheimer.

Dass wir solchem Proteinschrott nicht hilflos ausgeliefert sind, im Gegenteil, wissen wir, weil es einen Prozess namens Autophagie gibt. Wie eine Müllabfuhr sammelt das Autophagie-System kaputte Zellstrukturen und sorgt für das Recyceln.

Für das Entdecken und Erforschen dieses Müllverarbeitungsprozesses bekam der Zellbiologe Yoshinori Ōsumi 2016 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.

Natürlich haben wir Wissenswertes rund um die Autophagie zum Beispiel hier, hier und hier ausgiebig zusammengefasst. Die Quintessenz – einer der Hauptmechanismen – zum Starten der Autophagie:

Wenig Protein essen.

Der Hintergrund ist einleuchtend: Damit die Autophagie checkt, dass sie arbeiten soll, muss der Zelle signalisiert werden, dass der Proteinbedarf nicht über Nahrungsprotein gedeckt wird.

Dadurch packt sich die Autophagie Proteine, die nicht adäquat funktionieren, und zerlegt sie in ihre Einzelteile – die wiederum dem Aufbau neuer Strukturen dienen.

Darauf – also wenige Proteine zu essen – fußen ganze Konzepte zum Thema Langlebigkeit, etwa die Empfehlungen vom Altersforscher Valter Longo.

Proteinschrott mit UPS (Ubiquitin-Proteasom-System) entsorgen

Natürlich gibt es nicht nur die Autophagie. Eine andere Recycling-Maschinerie ist das Ubiquitin-Proteasom-System (UPS). Ich zitiere mal aus Wikipedia, zum Staunen:

Das Ubiquitin-Proteasom-System spielt eine bedeutende Rolle in der „Qualitätssicherung“ intrazellulär hergestellter Proteine.[16] Proteine sollten während und nach ihrer Produktion richtig gefaltet werden, damit sie funktionieren.

Bei einigen Proteinen ist die Faltung so komplex und fehleranfällig wie beim Chlorid-Ionenkanal CFTR in Epithelzellen, bei dem bis zu 60–80 % der hergestellten Proteine fehlerhaft gefaltet sind.[17]

Diese fehlerhaft gefalteten Proteine werden von sogenannten Chaperonen gebunden, Enzymen, die unter Umständen die richtige Faltung des Proteins fördern können.

Bei einer „irreparabelen“ Missfaltung wurde die Bildung eines Protein-Chaperon-Ubiquitin-E3-Ligase-Komplexes beobachtet, der das fehlgefaltete Protein poly-ubiquitiniert und damit die Degradierung durch das Proteasom ermöglicht.[16]

Auf diese Weise wird dafür gesorgt, dass strukturell entartete Proteine (cytosolisch wie auch Membran-assoziiert) die Zellbiologie nicht beeinflussen.

Wie cool das ist, oder? Wie sich die Zelle bemüht, dass alles in Ordnung bleibt!

Die Funktionsweise des UPS ist vom Prinzip her einfach zu verstehen: Ubiquitin ist ein kleines Protein, das an fehlerhafte Proteinstrukturen angehängt wird, also Proteinschrott „markiert“.

Je nach Markierung entscheidet die Zelle dann, was mit diesem Protein passiert. So kann es beispielsweise einer zellulären Zerhexel-Maschine, dem Proteasom zugeführt werden.

Faktoren, die das UPS aktivieren

Doch jetzt zum Wichtigen, nämlich zur Praxis. Was können wir tun, damit dieses System regelmäßig angeknipst wird?

Noch mal kurz zur Erinnerung: Ein gesunder Organismus braucht solche „Starthilfen“ eigentlich nicht, weil er von Haus aus dafür sorgen wird, dass er sich zyklisch verhält und entsprechend die jeweiligen Signalwege zum Gesundbleiben von alleine startet. Ein kleines Geheimnis, das immer mal wieder vergessen wird. Man sollte the bigger picture nicht aus den Augen verlieren, bei all den gut gemeinten Ratschlägen.

Genau mit dieser Frage hat sich soeben ein Wissenschaftlerteam befasst – mit spannenden Erkenntnissen. Ich zitiere:

Frühere Forschungen des Goldberger-Labors haben gezeigt, dass diese Maschine durch pharmakologische Wirkstoffe aktiviert werden kann, die den Spiegel eines Moleküls erhöhen, das als cAMP, ein intrazellulärer Botenstoff, bekannt ist, der wiederum das Enzym Proteinkinase A einschaltet. (…)

Witzig, denn da wird lange gebraucht, um zu verstehen, dass …

Die neuen Erkenntnisse zeigen jedoch, dass dieser Qualitätskontrollprozess durch Veränderungen im physiologischen Zustand und entsprechende Veränderungen der Hormone kontinuierlich und medikamentenunabhängig gesteuert wird.

Heißt: Hormone, deren Konzentration sich auf täglicher Basis ganz natürlich je nach Lebenssituation ändert, haben Einfluss auf dieses cAMP – ganz „medikamentenunabhängig“.

Wow, tolle Erkenntnis! Denn wie dieses cAMP auf natürliche Weise in jedem von uns – hoffentlich – mehrmals täglich ansteigt, und damit das UPS aktiviert, ist lange, lange, lange bekannt!

Im neuen Springer-Buch, zum Beispiel, findet sich ein kleines Kapitel zum cAMP:

Aha. Also:

  • Rauchen erhöht cAMP in den Zellen.

Warum?

Deshalb gilt: Eine cAMP-Erhöhung wird forciert durch …

  • Noradrenalin und Adrenalin – also unsere Stresshormone
  • … die bekanntlich beim Sport ansteigen, weswegen sich auch nach dem Sport erhöhte cAMP-Werte finden lassen (= man braucht nicht direkt danach Protein zu essen, Stichwort Recycling!)
  • Hoher Glukagon-Spiegel (also z. B. bei eiweißreichen, KH-armen Mahlzeiten)
  • Kurzzeitfasten (Glukagon hoch, Adrenalin/Noradrenalin hoch)

Das alles läuft unter dem Prinzip:

aktivierter Zustand des Körpers.

Sobald der Organismus „gestresst“ wird, steigt der Energieverbrauch, Insulin sinkt, Glukagon und die Stresshormone steigen.

Aus der Vogelperspektive zeigt sich uns erneut, warum wir zyklisch leben müssen – also „natürlich“, so wie das jeder Affe und jedes Kaninchen macht, so wie wir das seit mehreren Millionen Jahren getan haben.

Ist doch logisch, dem Proteinaufbau (nach der erfolgreichen Jagd), folgt in der Regel ein geordneter Proteinabbau (mal nix essen, sich bewegen, bis man wieder n neues Schnitzel abkriegt).

Genau daran orientieren sich diese uralten, evolutiv hochkonservierten Signalwege in uns. Wir machen das Gegenteil, werden krank, wundern uns und Wissenschaftler verkünden dann nach jahrelanger Forschung … genau das!

Das komplette Handbuch zum Körper

… gibt’s ab 02.03. bei Amazon und in der Buchhandlung (z. B. Thalia):

Wirklich jetzt, wer dieses Buch nicht kauft, weigert sich, seinen Körper (inkl. die Zusammenhänge oben) zu verstehen.

Referenz

Jordan J. S. VerPlank, Sudarsanareddy Lokireddy, Jinghui Zhao, Alfred L. Goldberg. 26S Proteasomes are rapidly activated by diverse hormones and physiological states that raise cAMP and cause Rpn6 phosphorylation. Proceedings of the National Academy of Sciences, 2019; 201809254 DOI: 10.1073/pnas.1809254116

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

12 comments On cAMP: Den Proteinschrott in den Zellen loswerden – Neue Studie!

  • Hey Chris,
    um die Autophagie zu starten, rätsts Du, wenig Protein zu essen. Gilt dieser Rat dann auch hinsichtlich von Aminosäuren, wie Du sie in Deinem Shop anbietest ? Ich bin jetzt durchaus verunsichert.

    • Der Punkt ist: Wenig Nahrungsprotein alleine kann die Autophagie starten, aber bei Gesunden ist das ja nicht der einzige Umwelteinfluss, der die Autophagie aktiviert. Unabhängig davon sollte es ganz normal sein, zyklisch zu leben … was ja die meisten von uns von Haus aus eh tun. Wir essen ja nicht jede Stunde oder überfressen uns kalorisch betrachtet konstant. Viele treiben Sport etc. Und dann gibts noch die natürlichen Feedbackmechanismen eines gesunden Körpers, der dir ganz sicher klare Signal sendet. Kurz: Nein, vor ein paar Aminosäuren brauchst du keine Angst zu haben :-P Du solltest dich damit aber natürlich nicht mästen!

      • Hi Chris,
        ich bin Kraftsportler (Kraftdreikampf 3x Training pro Woche) und IF’ler 16/8. Ich muss also in meinem Essensfenster von 8h ca. 180 g Eiweiss (2g pro kg Körpergewicht) „unterbringen“. Da kommen dann bei 3 Mahlzeiten je 60g Eiweiss heraus. Was meinst du – schlechte Strategie? Zu viel des Guten?
        Grüße
        Steffen

      • Ich mache es aktuell sehr ähnlich wie oben beschrieben. Habe aber verdammt großen Muskelkater, wenn das Eiweiß über den Tag zu niedrig ist oder ich beim Sport keine EAAs nehme. Also, die sind okay?

  • Hallo Chris,
    was ich leider immer noch nicht so recht verstanden habe – hat dieser sogenannte Proteinschrott einen Zusammenhang mit den Eiweißen aus der Nahrung?

  • Jetzt hab ich es verstanden Chris, vielen Dank für die Erklärung.

  • Hallo Chris,
    Du schreibst über Hormone, deren Konzentration sich auf täglicher Basis ganz natürlich je nach Lebenssituation ändern. Wie sieht es aus mit der externen gäbe von Schilddrüsen Präparaten? Ist es möglich dies in Einklang zu bringen?

  • Hi Chris,

    Du schreibst:
    „ Auf diese Weise wird dafür gesorgt, dass strukturell entartete Proteine (cytosolisch wie auch Membran-assoziiert) die Zellbiologie nicht beeinflussen“.

    Soweit ich weiß, beeinflussen entartete Proteine sehr wohl die Zellbiologie im Fall von Cystischer Fibrose, sonst gäbe es ja diese Krankheit nicht, wenn der Körper die fehlerhaften Proteine ausbessern könnte. Kann er aber nicht, es gibt nur kleine Stellschrauben, an denen man drehen kann, um den Chloridionenkanal länger offen zu halten, Stichwort ATP (es muss genug vorhanden sein), und Vitamin C.
    Besprichst Du Cystische Fibrose auch in Deinem neuen Buch?

    Liebe Grüße,

    Scout

    • Hallo Scout, warte mal, jetzt nicht alles durcheinander werfen! Der Artikel handelt von *normalen Zellabläufen*. Im Beispiel, das ich aus Wikipedia kopiert habe, geht’s darum, dass Chloridkanäle grundsätzlich häufig mal falsch gefaltet sind. Das hat aber nichts mit der Krankheit Mukoviszidose zu tun, bei der Gene, die für Chloridkanäle codieren, mutiert sind. Und in diesem Fall ist es natürlich genau deshalb eine Krankheit, weil hauseigene Mechanismen, die sowas eigentlich verhindern sollen, aus unterschiedlichen Gründen versagen.

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