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Unsere Entwicklungszeit: Das muss man doch mal verstehen

Immer wieder kommt es vor, dass wir über Evolution oder evolutive Adaptationen schreiben, und Menschen die Tragweite gar nicht verstehen. Die sehen vor lauter Bäumen den Wald nicht.

Alles, was wir heute haben oder sind, sind evolutive Adaptationen, also Anpassungen an eine Umwelt, die uns Jahrmillionen formte. Die allermeisten Adaptationen stammen aus der Zeit als Jäger und Sammler:

  • Selektive Wahrnehmung
  • Gruppendynamiken, Teamorganisationen, Mannschaftssport
  • Fokussieren auf ein Ziel mit all den psychologischen Folgen
  • uvm.

Für uns ist das nur so selbstverständlich, dass wir gar nicht auf die Idee kommen, dass das alles einen Sinn hatte, lange bevor wir modern wurden. Gleichzeitig erleben wir heute gerade deshalb ein Mismatch und Maladaptation.

Das sind zwei Begriffe aus der Anthropologie bzw. Evolutionsbiologie, die nahelegen, dass Funktionen, die ursprünglich gut waren, in der heutigen Umgebung krank machen können. Folge sind die nicht umsonst so genannte Zivilisationserkrankungen und viele assoziierte Störungsbilder.

„Nothing (in biology) makes sense except in the light of evolution“ spiegelt genau das wider. Wir können uns, unsere Psyche, unseren Körper, unsere Krankheiten gar nicht verstehen, wenn wir nicht zurück schauen, um zu verstehen, woher wir kommen und was wir ursprünglich waren.

Vor allem Veganer verstehen nicht, dass Fleisch Hunderte Stoffe enthält, die unser Körper seit drei Millionen Jahren kennt und an die an unsere Signalwege in den Zellen adaptiert sind. Das hat doch mittlerweile sogar Cathy Hummels verstanden, die jetzt fröhlich wieder Thunfisch usw. isst und ganz sicher ganz bald wieder wie eine normale Frau aussehen wird ;) – kleiner Spaß!

Doch darum soll es gar nicht gehen. Es geht mit Blick in die Vergangenheit nicht immer um das, was man machen sollte, sondern auch um das, was man eher nicht machen sollte. Und dazu gibt es ein einziges Fazit des „Paleo“-Erfinders und Physiologen Loren Cordain, das man sich merken sollte, wenn man das Thema ein bisschen ernst nimmt:

Aber meine erste Erkenntnis in Eigenanalyse war, dass die Menschen der Altsteinzeit weder Getreide noch Milchprodukte aßen.

Das war vor bald 40 Jahren, als er die frühesten Artikel über die Ernährung unserer Vorfahren studierte und Studien dazu in Ordnern sammelte. Das war die klarste Quintessenz.

In Zahlen bedeutet diese einfache Aussage:

  • Mehr als 2/3 von dem, was wir heute essen, ist evolutiv neu.
  • Der Mensch betreibt erst seit 10.000 Jahren Ackerbau, das sind rund 400 Generationen.
  • Der Mensch bzw. seine Vorfahren lebten davor ca. 3.000.000 Jahre lang als Jäger und Sammler, das sind je nach Kalkulationsgrundlage 100-150.000 Generationen!

Wir leben also um den Faktor 300 länger als Jäger und Sammler vs. als Ackerbauer. Das sind ganz einfach unglaubliche Zahlen, über die wir so wenig nachdenken und die wir gedanklich gar nicht greifen können. Daher gibt’s von uns aktuell immer öfter Bilder, so wie dieses hier:

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Dieser kleine rote Bereich ganz unten ist die Zeitspanne, in der wir als Ackerbauer leben, die hier im Vergleich zum kompletten Bild – dem Leben als Jäger und Sammler – angegeben ist.

Daher: Wann immer es jemandem gesundheitlich schlecht geht, er sich nicht wohl fühlt, er immunologische Probleme hat, er Stoffwechselstörungen hat, sollte der erste Ratschlag sein, die Ernährung dahingehend anzupassen, dass man zumindest die Weißmehl-Mast massiv senkt und Milchprodukte vom Speiseplan streicht. Ganz einfach.

Warum ausgerechnet Getreide und Milch? Einfach zu verstehen: Wildgräser sind kaum ergiebig, müssten erst kultiviert und stark prozessiert sein. Und keiner von uns würde ein Wildtier melken, vermutlich. Genau deshalb wurden diese zwei Lebensmittelgruppen in unserer langen Entwicklungszeit einfach kaum bis nie gegessen.

Natürlich haben sich z. B. Getreide oder Milchprodukte aus einem Grund als (Haupt-)Nahrungsmittel durchgesetzt. Auch sie haben ihre Vorteile. Haben wir schon erläutert – für Milchprodukte z. B. hier. Kurzum: In manchen Zeiten in unserer jüngerer Vergangenheit haben sie uns vielleicht geholfen akut zu überleben. Speziell Milchprodukte können je nach Verträglichkeit (in Maßen) in den Speiseplan reintegriert werden.

Es wäre aber naiv zu glauben, wir hätten uns innerhalb von 400 Generationen so gut daran adaptiert, dass sie für unsere Physiologie genauso unproblematisch sind, wie z. B. Fisch oder Gemüse. Über die bereits erforschten gesundheitlich problematischen Aspekte dieser beiden Nahrungsmittelgruppen, haben wir hier und hier schon ausführlich berichtet.

Ich weiß, dass diese Aussagen nicht von allen gerne gelesen werden, vor allen von jenen, die ihr Käsebrötchen so lieben (doch, doch…) – aber die meisten schaffen es einfach nicht in die Metaperspektive und sehen einfach nicht, wer wir sind und woher wir kommen und verstehen nicht, dass die meisten Krankheiten, die wir heute haben, nicht nur nicht normal sind, sondern völlig überflüssig. 

Wenn es schon Argumente nicht bringen, dann vielleicht wenigstens grafische Illustrationen, die ein Gefühl dafür geben, über welche Zeiträume wir überhaupt sprechen.

Im Endeffekt geht es mit Blick auf Handlungsempfehlungen nicht um Kopieren, sondern um Emulieren. Und diesbezüglich hatten wir bereits sämtliche Prinzipien niedergeschrieben, die wir jetzt sofort umsetzen können und die wenigstens ein bisschen „gengerechter“ für uns sind.

Man muss es nur machen. Der Erfahrung nach, scheitert es genau daran.

PS: Freilich geht es nicht nur um das Prinzip Gräser und Prinzip Milchprodukte. Das Anti-Prinzip sozusagen ist das Bigmac Maxi-Menü. Hochraffinierte Kohlenhydrate aus Weizen, in hochoxidiertes Pflanzenöl getränkte Pommes, Transfette, raffinierter Zucker in flüssiger Form, Billigkäse als Appetizer, quasi kein Gemüse, immerhin ein bisschen Salat, hochwertiges Eiweiß nur in Form von dünnen Patties in fragwürdiger Qualität. Versteht doch jeder, der einmal kurz drüber nachdenkt, nicht wahr?

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

3 comments On Unsere Entwicklungszeit: Das muss man doch mal verstehen

  • Wenn Sie schon die Evolution erklären, sollten Sie auf jeden Fall die Ko-Evolution mit Parasiten in Betracht ziehen.
    (Könnte man womöglich bei manchen überernährten Menschen eher als “Symbionten“ ansehen.)

  • Vielen Dank für den Artikel.

    Aber wie entstehen der Mismatch und die Maladaptionen? Hast du, habt ihr, da eine Erklärung für?

    Eigenes Beispiel: Seitdem ich mit dem Joggen angefangen habe, bereite ich mir meine Mahlzeiten selber zu. Vorher gab es öfter Fertigzeugs.

    VG

    • Na ja, wenn du einen Pinguin nimmst, der fürs Schwimmen im Wasser gemacht ist und ihn die Wüste setzt. Wenn du einen Menschen nimmst, den du nicht bewegst, dem du nicht die normale „gengerechte“ Kost gibst oder in eine Umwelt setzt, für die das Hirn nicht gemacht (Stichwort Dopamin). Das ist ja Kern der evolutiven Adaptiertheit. Der Mensch lebt ja nicht seit drei Millionen Jahren in Großstädten, bewegt seinen Hintern nicht und isst Bigmacs. Hier geht es um Signalwegen in den Zellen, die „verwirrt“ sind ob unseres eigenartigen Seins. Und auf Grundlage von Epigenetik bauen die dann scheiße und machen uns krank. Relativ einfach zu erklären.

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