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9 Empfehlungen des Science Media Centre zum Thema Wissenschaft und Medien

„…, die auf unseren Erfahrungen während der COVID-19-Pandemie basieren.“ Klingt spannend, nicht wahr?

Doch wer ist das Science Media Centre überhaupt? Man kann diese britische Institution als renommierte Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Medien verstehen. Sie selbst beschreiben sich wie folgt:

Das Science Media Centre geht auf den einflussreichen dritten Bericht des House of Lords Science and Technology Select Committee über Wissenschaft und Gesellschaft zurück, der das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft stärken wollte. Es wurde 2002 gegründet und war ursprünglich bei der Royal Institution of Great Britain angesiedelt, bis es im April 2011 eine eigenständige Wohltätigkeitsorganisation wurde.

Ziel sei die „Bereitstellung genauer und faktengestützter Informationen über Wissenschaft und Technik durch die Medien zum Nutzen der Öffentlichkeit und der politischen Entscheidungsträger“, insbesondere dann, wenn es um kontroverse Themen geht.

Klingt gut. Und dieses Science Media Centre hat soeben die in der Überschrift genannten „Neun Empfehlungen (…) zum Thema Wissenschaft und Medien“   veröffentlicht. Ich finde das so spannend, dass ich einmal kurz auf die einzelnen Empfehlungen eingehen möchte. Also los.

Empfehlung 1: Unabhängig davon, wie kontrovers ein Thema ist, sollen Wissenschaftler, deren Fachgebiet betroffen ist, ermutigt werden, mit Medien zu sprechen. Die eigenen Institutionen sollen sie dabei unterstützen.

Meine Meinung: Prinzipiell stimme ich hier zu. Es ist die Pflicht von Wissenschaft, sich für einen evidenzbasierten Diskurs einzusetzen (was das ist, dazu gleich mehr). Insbesondere, wenn die eigenen Forschungsgebiete im Fokus stehen.

Leider, leider zeigte sich, dass banale Virologen, die sonst an irgendwelchen Oberflächenproteinen forschen, ihre Autorität und ihren Einfluss missbrauchen, um die eigene Agenda voranzutreiben und sogar Politik zu machen. Ein Virologe ist nun mal kein Epidemiologe, kein Infektiologe und auch kein Immunologe. Fakt!

Empfehlung 2: Die Forschung muss intern Kapazitäten freihalten, um ordentliche Wissenschaftskommunikation zu betreiben und sie sollten Medien in den Mittelpunkt stellen.

➜ Unter diesem Punkt wird kritisiert, dass Wissenschaftler eben nicht bereit sind, die Medien 24/7 mit Informationen zu versorgen. Stattdessen würde sie zunehmend ihre eigenen Kampagnen fahren, etwa über eigene Presse-Kanäle.

Meine Meinung: Tatsächlich ist die Wissenschaft heute eher ein Wirtschaftsbetrieb, dem es auch um Geldbeschaffung, Ressourcen (Studenten!) und Außendarstellung geht. Und natürlich ist Wissen und Erkenntnisgewinn in den heutigen Zeiten enorm viel wert – das wissen Wissenschaftler sehr genau und daher steht die Kommunikation über klassische Medien nicht mehr so im Vordergrund. Stattdessen verschafft sich der eine oder andere Wissenschaftler Reputation über Twitter. True.

Empfehlung 3: Redaktionen sollten ihre spezialisierten Wissenschaftsjournalisten behalten und in sie investieren.

➜ Hier wird dargelegt, wie wichtig Wissenschaftsjournalismus ist, der auch weiß, wann Unsicherheiten zu berücksichtigen sind. Diese haben zudem positiven Einfluss auf die eigene Redaktion. Wissenschaftliche Erklärungen werden zudem am meisten geklickt und Wissenschaftler kommunizieren nur sehr ungern mit Politik-Reportern.

Meine Meinung: Absolut. Aus diesem Grund gibt es edubily. Klar, wir betreiben nicht wirklich neutrale Wissenschaftskommunikation, aber ich selbst verfüge über ein biologisches Hintergrundwissen, das mir hilft, Themen einzuordnen und Schwerpunkte für den Leser aufzubereiten. Das können im Mainstream nur Wissenschaftsjournalisten! Viel zu oft werden wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Kontext gerissen und falsch vermittelt.

Empfehlung 4: Wissenschaftler sollen in ihrem Fachgebiet und vor allem wissenschaftlich bleiben.

➜ Dem öffentlichen Interesse sei am besten gedient, wenn der Wissenschaftler in seinem Fachgebiet bleibe. Meinungen und Ideologien haben hier keinen Platz. Wissenschaftler müssen sich das Vertrauen der Öffentlichkeit verdienen, durch faktenbasiertes Kommunizieren und durch Änderung der eigenen Position, falls nötig. Wissenschaftler sollen Medien und der Öffentlichkeit zudem helfen, den Grad des Vertrauens oder der Unsicherheit zu verstehen, den sie bei der Bewertung neuer wissenschaftlicher Studien haben.

Meine Meinung: Langsam wird es spannender. Hier werden zwei Dinge geäußert, die manchmal ziemlich weit auseinander liegen. Beispiel: Wenn ein Drosten zunächst fröhlich behauptet, es gäbe keine positive Datenlage zum Maskentragen, um dann ein paar Wochen, eher Tage, später festzustellen, dass Masken jetzt doch schützen … dann ist das keine gute Wissenschaftskommunikation.

Drosten zu Masken
Drostens schlechter Kommunikationsstil: Er argumentiert zwar evidenzbasiert und ändert innerhalb von knapp zwei Wochen entsprechend seine Meinung. Allerdings ist die Art der Kommunikation schlecht. Das sorgt für große Verwirrung seitens der Bevölkerung. 

Unsicherheiten und – das Gegenteil – Vertrauen in eigene Aussagen müssen für die Öffentlichkeit spür-, hör- oder nachvollziehbar sein. Wenn sich nun Datenlagen ändern und Wissenschaftler ihre Position ändern, ist das zwar prinzipiell evidenzbasiert und gut. Wenn ich mich aber zwei Wochen vorher mit größtem Selbstverständnis und mit absoluter Sicherheit ins TV setze und behaupte, Masken würden nicht schützen, dann handelt es sich dabei um eine misslungene, irreführende Wissenschaftskommunikation. Und genau das war ein großes Problem in der Pandemie. So kann man nicht mit der Öffentlichkeit sprechen.

Ein Wissenschaftler muss eine gewisse Sicherheit in seinem Vortrag haben. Er kann sich aber keine extremen Schwankungen in seinen Feststellungen erlauben. Denn das zeigt eben nicht, dass man „evidenzbasiert“ arbeitet, sondern dass man offensichtlich kaum Sachverstand für die Materie hat. Ein guter Wissenschaftler wird sich auch mal irren. Ein schlechter Wissenschaftler wird sich aber oft widersprechen oder weit Gegensätzliches feststellen und danach behaupten, die Datenlage habe sich geändert. Wenn er sich so unsicher ist, dann muss er intern mit seinen Peers kommunizieren und darf eben nicht an die breite Öffentlichkeit kommunizieren, beispielsweise über Twitter.

Empfehlung 5: Vielstimmigkeit und offener Diskurs SIND Wissenschaft.

➜ Politiker und Kommunikationsexperten nutzen gerne eine klare und einfache Sprache für die Öffentlichkeit und beziehen sich dabei oft auf „die“ Wissenschaft. Das birgt aber die Gefahr, dass man Unsicherheiten und widersprüchliche Ansichten beschönigt – dies sei unwissenschaftlich. Ein Pluralismus des wissenschaftlichen Diskurses soll der Öffentlichkeit darlegen, wo es Konsens gibt und wo unterschiedliche Ansichten vorliegen. Das soll der Öffentlichkeit helfen, zu beurteilen, wo das Gewicht der Beweise liegt. Möglichst viele gute Wissenschaftler sollen ihre (verschiedenen) Positionen vortragen und ausdiskutieren können.

Meine Meinung: Das hier ist ein „tough one“. Der große Spagat, den die Wissenschaft zusammen mit der Politik leisten muss, ist, dass komplexe biologische Phänomene so heruntergebrochen werden, dass sie a) nachvollziehbar und zu verstehen sind und b) klare Handlungsempfehlungen ausgesprochen werden können. Den normalen Menschen darf man halt nicht mit immer neuen und meistens auch noch widersprüchlichen Informationen verunsichern, wenn es um Bedrohungslagen geht. Denn: Hier geht es nicht nur um Wissenschaftskommunikation an sich, sondern auch um Krisenkommunikation.

Leider hat die Pandemie die unschönen Seite einer verängstigten Bevölkerung aufgezeigt. Die einen driften komplett ab und zweifeln jahrzehntelange Grundlagenforschung an oder sehen gleich eine Weltverschwörung. Angst treibt auch Ideologie und Fanatismus. Wissenschaft und Politik sind nicht gefeit davor, selbst zum Denunzianten zu werden, wenn es darum geht, die eigene, offenbar bessere und logischere Sicht der Dinge zu verbreiten, um nicht zu sagen: aufzudrücken. Meinungspluralismus muss Raum bekommen, ausdiskutiert zu werden. Das kann man erst jetzt so langsam, nachdem der Panik-Modus zunehmend abgestellt ist, wieder beobachten.

Hier geht es also gar nicht so sehr darum, „das Richtige“ zu kommunizieren, sondern im Zuge einer Krisenbewältigung rational zu bleiben und den Diskurs weiterhin offen zu halten, um die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen. Auch, wenn einem die Angst oder die Panik im Nacken sitzt. Ausgrenzen hilft keinem.

BMI Strategiepapier
Das berühmte BMI-Strategiepapier ist ein Lehrstück dafür, wie es eher nicht geht. (Quelle

Empfehlung 6: Wissenschafts- und Politikkommunikation sollten getrennt bleiben.

➜ Die Wissenschaft sollte sich bemühen, einer Politisierung der Wissenschaft zu widerstehen. Unabhängige Wissenschaftler sollten ihre Daten regierungsunabhängig kommunizieren, auch dann, wenn sie von der Regierung beauftragt wurden. Öffentlich finanzierte Wissenschaft sollte gleichermaßen unabhängig von politischen Erklärungen der Regierung veröffentlicht werden sollten.

Meine Meinung: Ganz kurz: Das Problem ist, dass viele Wissenschaftler aktiv Politik betreiben – sie wissen, wie Kommunikationskanäle, wie sie Twitter nutzen können, um vor dem Hintergrund der eigenen Autorität Meinungen, Stimmungen und letztlich auch Regierungsentscheidungen zu beeinflussen. Das ist in meinen Augen ein großes Problem.

Weder sollten Wissenschaftler auf diese Weise Politik machen – noch sollte die Politik einzelne wissenschaftliche Erkenntnisse für ihre Zwecke, für ihre Agenda missbrauchen. Um dies zu verhindern, gibt es eine einfache Lösung, die bei uns viel zu spät eingeführt wurde: Man braucht einen Expertenrat aus den renommiertesten Wissenschaftlern der betroffenen Fachbereiche, die, geschlossen, eine gemeinsame Stellungnahme abgeben und den Politikern dadurch helfen, Entscheidungen zu treffen, ohne die Möglichkeit zu bieten, einzelne Erkenntnisse für politische Zwecke zu missbrauchen.

Empfehlung 7: Wissenschaftler, die Teil von Experten-Gremien sind, sollten ermutigt werden, über ihre Forschungen zu sprechen.

➜ Wissenschaftler, die in einen Expertenrat berufen wurden, sollten unterstützt werden, um Medienarbeit über die Wissenschaft zu leisten, auch wenn sie nicht über die auf den Sitzungen besprochenen Themen sprechen oder sich zu den Rechten oder Unrechten der Regierungspolitik äußern können.

Meine Meinung: Renommierte Wissenschaftler sollen immer sprechen dürfen – allerdings nur, wenn es das eigene Fachgebiet oder eigene Forschungsergebnisse betrifft. Sie sollten aufhören, über Gott und die Welt zu schwadronieren.

Empfehlung 8: Das Wesen von Experten-Gremien sollte vor dem nächsten Notfall besser verstanden sein.

➜ Welche Rolle haben wissenschaftliche Berater? Wie wird die Regierung beraten? Mehr Klarheit und Offenheit in Bezug auf diesen Prozess könnte das Verständnis der Öffentlichkeit dafür verbessern, wer Evidenz produziert, wer Ratschläge erteilt und wer politische Entscheidungen trifft.

Meine Meinung: Transparenz ist immer gut. Man kann von den Habecks und Baerbocks dieser Welt halten, was man will. Aber sie sind aktuell ein ganz gutes Beispiel dafür, wie aussieht, wenn man sich wenigstens Mühe gibt, Sachverhalte und Handlungen bzw. Handlungsoptionen gut zu erklären. Gerne auch mit Emotionen. Menschen wollen verstehen.

Empfehlung 9: … betrifft eher die Briten 

… ist und damit mehr oder weniger irrelevant für diesen Beitrag.

Die Vorschläge bzw. Empfehlungen sind sicher gut gemeint. Leider schwingt immer so das Gefühl mit, dass Wissenschaft und Wissenschaftler drüber stehen. Was vollkommen untergeht ist, dass Wissenschaftler in der Krise einen sehr großen Beitrag dazu geleistet haben, dass sie nicht optimal gemanagt wurde.

Ich persönlich finde, dass es eine Katastrophe ist, dass Wissenschaftler freizügig Twitter nutzen und gefühlt täglich unzählige Interviews geben. Besser wäre es, Wissenschaftler würden sich auf ihre Forschungen konzentrieren und Interviews dann geben, wenn es wirklich was zu sagen gibt. Im Idealfall als geschlossenes Gremium. Das ist zwar Wunschdenken. Aber die Wissenschaft hat in der Pandemie kein gutes Bild abgegeben.

So viel dazu.

Dich interessiert, was wir von Anfang an über Corona berichtet haben? Wir haben sämtliche Instagram-Storys in den Highlights abgespeichert. Und wir haben mehrere Stellungnahmen hier im Blog veröffentlicht. Der erste Beitrag wurde von Google zensiert und findet sich über die Suchmaschine nicht mehr:

Dieser Beitrag mit 238 Kommentaren hat bereits zu Beginn viele offensichtlichen Probleme angesprochen, die erst heute langsam und richtig aufgearbeitet werden. Es hat lange gedauert, bis es erkannt wurde. Der Kommentarbereich ist ein bisschen charakteristisch für das Meinungs- und Stimmungsbild in dieser Zeit.

 

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

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