Die ersten beiden Beiträge dieser Plattform handelten von Vitamin D (hier und hier).
Warum? Vitamin D ist ein No-brainer. Das versteht wirklich jeder, der will.
Vitamin D ist ein No-brainer
Meine Kollegin Annika hat für ihr erstes Ebook bei uns (Thema: Fertilität bei Frauen, kommt bald) eine einfache Grafik aufbereitet. Sieht so aus:
Kombiniert ist hier die Abbildung aus Rabenberg et al. 2015 zur Vitamin-D-Versorgung der Deutschen und eine Studie über Vitamin-D-Werte im Zusammenhang mit der weiblichen Fruchtbarkeit.
In dieser Arbeit heißt es:
Im Vergleich zu Frauen mit einem 25(OH)D-Wert von 30-40 ng/ml (75-100 nmol/l) hatten Frauen mit einem Wert von weniger als 20 ng/ml (50 nmol/l) einen geschätzten Rückgang der Fruchtbarkeit um 45 %.
Fruchtbarkeit halbiert. Blöd nur, dass das gesunde Frauen Anfang 30 waren. Sonst heißt es in der Zeitung nämlich immer, „niedrige Vitamin-D-Werte sind ein Zeichen von Alter und Krankheit“. Ursache und Wirkung wird dann gerne mal absichtlich vertauscht.
Blöd auch, dass es ja kein unangenehmer Zufall ist, zu den hier schlecht Versorgten zu gehören. Denn, wie man der Abbildung oben entnehmen kann, weist ein erheblicher Teil der Bevölkerung Werte unter 20 ng/ml auf. Nach Rabenberg et al. sind es über 60 % der Deutschen.
Vitamin D füttert ein Anti-Krebs-Probiotikum
Also. Ein No-brainer. Mit 1000-5000 IE täglich zusätzlich hätte man solche schlechten Werte nicht mehr und müsste sich nicht auf dieses typische Level der Diskussion hierzulande herab begeben.
Die dargelegten Zusammenhänge gelten offenbar auch für Tumore, das heißt Krebs. In einer aktuellen Arbeit, veröffentlicht im renommierten Fachmagazin Science, waren Wissenschaftler einmal mehr erstaunt. Man liest:
Was wir hier gezeigt haben, war eine Überraschung: Vitamin D kann das Darmmikrobiom so regulieren, dass es eine Art von Bakterien begünstigt, die Mäusen eine bessere Immunität gegen Krebs verleiht.
Nein, doch, oh! Da waren die Forscher „überrascht“, mal wieder. Denn die hatten Vitamin D natürlich mal wieder nicht auf dem Schirm (siehe oben). Der Mangel betrifft ja nur Alte und Kranke, heißt, man kann eine Lebzeit mit Vitamin-D-Unterversorgung durch die Gegend laufen und kommt ungeschoren davon. Meinen die meistens.
Stattdessen stolperten die Forscher mehr oder weniger aus Zufall über diese Erkenntnisse. Denn die wollten ja eigentlich die Auswirkungen des Mikrobioms auf die Tumorentwicklung ihrer Versuchstiere testen. Und mussten dann staunend zur Kenntnis nehmen, dass Vitamin D eine Bakterienspezies (Bacteroides fragilis) im Darm anreichert, die vor Tumoren schützt.
Mäuse mit erhöhter VitD-Zufuhr entwickeln eine mikrobiomabhängige, übertragbare Tumorresistenz.
Mehr noch: Hatten die Tiere einen Vitamin-D-Mangel, also wie 60 % der Deutschen, sprachen die Tiere nicht mehr auf die positiven Wirkungen dieses Stammes an. Heißt: Dieser Stamm ist offenbar von Vitamin D abhängig. Doppelt doof, weil das bedeutet, dass man den Bakterienstamm ohne Extra-Vitamin-D nicht verabreichen kann.
Man muss nur hingucken wollen
Und dann passiert etwas, was man häufig beobachten kann. Nach dem Motto: Wer suchet, der findet (Mt 7,8 übrigens ein wunderbares Lebensmotto!). Man muss nur wollen – oder halt nicht, wie meistens. Denn plötzlich finden die Wissenschaftler Zusammenhänge, die sie vorher offenbar nicht gesehen hatten:
Um dies zu untersuchen, analysierten die Forscher einen Datensatz von 1,5 Millionen Menschen in Dänemark, der einen Zusammenhang zwischen einem niedrigen Vitamin-D-Spiegel und einem höheren Krebsrisiko aufzeigte.
Eine separate Analyse einer Gruppe von Krebspatienten ergab außerdem, dass Menschen mit einem höheren Vitamin-D-Spiegel eher auf immunbasierte Krebstherapien ansprechen.
Auch hier hören wir Louis de Funès zu uns flüstern. Plötzlich hilft Vitamin D also doch. Höhere Spiegel scheinen vor Krebs zu schützen.
Und: Wer eine erhöhte genetische Vitamin-D-Aktivität aufwies (per Gentest verifiziert), überlebte nicht nur eher, sondern sprach besser auf eine Immuntherapie (Krebsbehandlung) an. Das ist ja deshalb spannend, weil die Immuntherapie vom Körper abhängig ist. Heißt z. B., je besser das Immunsystem funktioniert, umso effektiver wirkt diese Therapie.
Keine Hochdosen nötig
Nein, ich bin kein Freund von Hochdosen, sondern schätze das Prinzip der „Minimum Effective Dose“. So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Studien, wie die zur Fruchtbarkeit, zeigen immer wieder, dass Menschen ab 30 ng/ml ziemlich gut mit Vitamin D versorgt sind. Man muss sich nicht auf 50, 60 ng/ml hoch prügeln. Oft mit Nebenwirkungen.
Und auch hier möchte ich einmal mehr appelieren und lehren: Manchmal braucht’s nur Minimengen mehr, um erhebliche physiologische Reaktionen zu bewirken. Wie beim Vitamin D. Bei Vitamin D sprechen wir ja ohnehin von einem Millionstel Gramm (µg).
Die aber können für sehr viele Menschen hierzulande einen echten Unterschied machen. Weitestgehend verkannt, leider. Schon vor 20 Jahren konnte man von US-amerikanischen Präventivmedizinern (Studie) lesen:
Die Mehrzahl der Studien ergab einen schützenden Zusammenhang zwischen einem ausreichenden Vitamin-D-Status und einem geringeren Krebsrisiko.
Die Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Bemühungen zur Verbesserung des Vitamin-D-Status, z. B. durch Vitamin-D-Supplementierung, die Krebsinzidenz und -sterblichkeit mit geringen Kosten und wenigen oder gar keinen nachteiligen Auswirkungen verringern könnten.
Geändert hat sich in der Zwischenzeit allerdings … nix.
18 comments On Vitamin D: Klappe, die X-te
Danke für den interessanten Artikel.
Beim Thema Vitamin D spricht man im Allgemeinen (fast) immer über die Speicherform Vitamin D, 25-OH (Calcidiol).
Wenn ich aber richtig verstanden habe, ist für den Körper die aktivierte Form Vitamin D3, 1,25-(OH)2 (Calcitriol) am wichtigsten.
Weshalb wird nicht üblicherweise die aktivierte Form gemessen, um eine bessere Aussage über die Versorgung zu erhalten?
Danke!
Calcitriol im Blut variiert enorm und ist primär ein „Calcium-sensing hormone“. Die Gewebe versorgen sich via 1α-Hydroxylase (aus Calcidiol) selbst mit dem aktiven Vitamin D, ergo Calcitriol. Das lässt sich aber nicht messen, höchstens via epigenetische Marker (s, Carsten Carlberg).
Danke Chris
Ich hatte einmal Calcidiol und Calcitriol gleichzeitig messen lassen und war dann überrascht, das der Calcitriol Wert fast zuoberst des Referenzbereichs lag (152 | Ref. 48-168 pmol/L), obschon der Calcidiol-Wert nur im unteren Drittel lag (103 | Ref. 75-220 nmol/l) lag. Ehrlich gesagt wusste (und weiss) ich damit nichts anzufangen. Ich meine, ob bei mir die Umwandlung von der Speicherform in die Aktive Form besonders effektiv von statten geht und ich mit einem (noch) niedrigeren Calcidiol-Wert besser aufgestellt bin, anstatt mit einem zu hohem Calcidiol-Wert zu riskieren, den Clacitriol-Wert unnötig hoch steigen zu lassen und damit Calcium aus den Knochen zu lösen und Verkalkungen zu riskieren. Da ich in den vergangenen Jahren das Albumin-bereinigte Calcium immer zuoberst im Referenzbereich hatte, und inzwischen bei mir Nierensteine und eine beginnende Arteriosklerose festgestellt wurde, frage ich mich natürlich, ob der Calcitriolwert mit einem Ansteigen des Calcidiolwerts automatisch immer ansteigt?
Wenn ich Deine Antwort richtig verstanden habe, sollte ich in den Calcitriol-Wert nicht zu viel reininterpretieren und dürfte den Calcidiol-Wert sogar noch etwas höher steigen lassen?
Calcidiol wird auch verbraucht wenn viel Calcitriol gebildet werden muss. Aber tendenziell korrelieren Calcidiol und Calcitriol nicht miteinander, sowohl positiv als auch negativ (korrel.). Calcidiol liegt auch um den Faktor 1000 höher vor als Calcitriol. LG
„Man muss sich nicht auf 50, 60 ng/ml hoch prügeln. Oft mit Nebenwirkungen.“
Was wären denn beispielhafte Nebenwirkungen?
Gelenkschmerzen, Muskelverspannungen, gereizte Sehnen und Bänder, schlechte Stimmung und Antriebslosigkeit – bei mir zumindest.
Das geht schon bei unter 40 ng/ml los.
Oft auch Überreiztheit, Übererregtheit, mehr Entzündungen, auch am Zahnfleisch.
Auch Interessant das die Forschung die Breitengrade in Betracht zieht und „maßgeschneiderte“ Dosierungsempfehlungen geben wollen.
https://www.sciencedaily.com/releases/2024/05/240502184351.htm
Gut, das ist ja nicht wirklich neu – trotzdem interessant! Tatsächlich gibt es ja auch innerhalb der Bevölkerung erhebliche Spannweiten, was die Vitamin D Wirkung im Individuum angeht. https://www.vitamind.net/interviews/dr-carlberg-epigenetik-response-index/
Hmm, im Interview empfiehlt Prof. Dr. Carlberg täglich mind. 4000 (!) i.E. während der Wintermonate. Egal, welche Art von Responder man ist. Würde bei mir nach hinten losgehen.
Stimmt ja nur so halb. Weiter oben differenziert er ja klar:
„Aber einem High-Responder könnten vielleicht 1000 IE (25 µg) genügen, ein Low-Responder bräuchte eher um die 4000 IE (100 µg).“
Denke, das trifft es genau.
Hallo Michael, woher weiß man ob man ein „High-Responder“ oder „Low-Responder“ ist?
Sorry ich meinte Chris 😄
Ausprobieren
Welches Interesse kann das BfR daran haben sich traditionell ergebnisorientiert (gegen „hohe“ Dosierungen) zu evidenzbasierten Studien zu positionieren?
Es geht nicht immer um „Interesse“, sondern oft um Kultur, Tradition, „German Angst“. Das BfR ist eine Behörde, die explizit existiert, um *Gefahren zu erkennen*. Das ist wie im echten Leben: Wer sich nur viel Mühe gibt, wird sich auch einreden können, dass Ameisen in ganz ganz ganz seltenen Fällen einen Elefanten umbringen. Viele Leute verstehen nicht, dass das Vorgehen dieser Behörde nicht neutral ist. Wir leben in Deutschland. Und das ist die Behörde, die unseren für Vorsicht und unser Bedürfnis nach Sicherheit verkörpert. Muss einem klar sein.
Was macht eigentlich der Kampf unserer Regierung gegen die im Artikel genannten, von Mandatstragenden zu „Hochdosen“ deklarierten Supplementationen –
Danke fürs Dranbleiben
Glücklicherweise wird das bald kein Thema mehr für unsere Regierung sein, sondern von der EU und der EFSA. Dort liest man:
„Auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse ist nicht zu erwarten, dass eine chronische Aufnahme von 100 μg/Tag Vitamin D ein Risiko für gesundheitsschädliche Wirkungen birgt. Daher schlägt das Gremium einen UL von 100 μg (4000 IE) Vitamin-D-Äquivalenten (VDE)/Tag für Erwachsene vor.“ (EFSA, August 2023; https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.2903/j.efsa.2023.8145)
Hier mal zum Vergleich was das BfR daraus macht:
„Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) nennt für Vitamin D den UL-Wert (tolerable upper intake level) von 100 μg. Nehmen Erwachsene und Kinder ab elf Jahren täglich eine Menge von bis zu 100 μg auf, sind nach derzeitigen wissenschaftlichen Er- kenntnissen gesundheitliche Beeinträchtigungen unwahrscheinlich. (…) Nimmt man jedoch langfristig und täglich hochdosierte Vitamin D-Präparate zu sich, deutet die aktuelle Studienlage auf ein erhöhtes gesundheitliches Risiko hin.“
Das BfR kann es also – wie gehabt – nicht lassen, die Aussage der EFSA über den Vitamin-D-UL, der ja gerade definiert ist als höchste Dosis die langfristig sehr wahrscheinlich ungefährlich ist, so zu verzerren, dass der Eindruck erweckt wird, dass man unter langfristiger Dosierung mit „hochdosiertem Vitamin D“ – was sie direkt auf die genannten 50 und 100 μg beziehen – Schaden nehmen kann. So viel zur Wissenschaftlichkeit unserer Behörden.
BG